Verklumpte Proteine können mithilfe zellulärer Reparatursysteme aufgelöst werden. Wie In-vitro-Experimente zeigen, handelt es sich um einen mehrstufigen biochemischen Vorgang, bei dem Proteinmoleküle aus den Verklumpungen herausgelöst werden.
In allen Zellen treten Proteine in ihrem natürlichen Zustand gefaltet auf: Proteine werden zunächst als lange Ketten aufeinanderfolgender Aminosäuren hergestellt und müssen eine bestimmte dreidimensionale Struktur annehmen, sich also falten, um funktionsfähig zu sein. Dieser Zustand der Proteinfaltung ist ständig bedroht durch äußere und innere Einflüsse. Schadhafte Proteine verlieren ihre Struktur und entfalten sich. Dabei besteht die Gefahr, dass sie miteinander verklumpen. „Kommt es zur Bildung solcher Aggregate, kann dies Zellen schädigen oder sogar zum Zelltod führen, wie es bei neurodegenerativen Erkrankungen, etwa Alzheimer und Parkinson, oder auch bei Vorgängen des Alterns der Fall ist“, erklärt Prof. Dr. Bernd Bukau, Direktor des Zentrums für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg (ZMBH). Schadhafte Proteine verklumpen nicht nur während des Alterungsprozesses. Eine Ansammlung von Proteinen kann auch auftreten bei Veränderungen der Proteinstruktur durch Mutation sowie durch chemische oder umweltbedingte Belastungen. So kann zum Beispiel eine Änderung der Wachstumsbedingungen wie ein Anstieg der Umgebungstemperatur dazu führen, dass Proteine ihre Struktur verlieren und sich entfalten. „Die Bildung von Proteinaggregaten in verschiedenen Organen des menschlichen Körpers wird mit einer großen Anzahl von menschlichen Erkrankungen in Verbindung gebracht, zu denen auch Stoffwechselstörungen gehören“, so der ZMBH-Direktor.
Bislang war wenig bekannt, wie das natürliche Abwehrsystem des Menschen den Prozess der Proteinverklumpung in jungen gesunden Zellen wirksam umkehrt. „Aggregate von Proteinen aufzulösen, ist ein entscheidender Schritt, um schadhafte Proteine ,wiederzuverwerten‘ und einen Schutz gegen stressbedingte Zellschädigungen aufbauen zu können. Wir hatten mehrere Hinweise darauf, wer die Hauptbeteiligten in diesem Prozess sind, wussten aber nicht, wie der Ablauf konkret aussieht“, sagt der Leiter der Untersuchungen, Dr. Nadinath Nillegoda, der dem Team von Prof. Bukau angehört. Den Forschern ist es gelungen, einen bisher unbekannten und aus mehreren Komponenten aufgebauten Proteinkomplex zu identifizieren, der – unter In-vitro-Bedingungen – wirksam stressbedingte Aggregate von Proteinen auflöst. Dieser Komplex besteht aus Chaperonen, die in diesem Fall zur Klasse der Hitzeschockproteine 70 (Hsp70) gehören. Teil des untersuchten Proteinkomplexes sind außerdem Co-Chaperone, die die Hsp70-Aktivität regulieren. Von zentraler Bedeutung sind hier, so Prof. Bukau, die Co-Chaperone der sogenannten J-Proteinfamilie, die den Faltungshelfer Hsp70 an die Proteinaggregate „locken“ und dort zielgenau aktivieren. „Der Schlüsselbefund unserer Arbeit ist, dass zwei Typen dieser J-Proteine dynamisch miteinander wechselwirken müssen, um die Faltungshelfer Hsp70 maximal für die Auflösung der Proteinaggregate zu aktivieren. Erst dadurch entsteht eine potente zelluläre Aktivität zur Umkehrung dieser Aggregate.“
Für das experimentelle Design und die Integration von Daten aus einer Reihe von Untersuchungen entwickelten die Wissenschaftler auf dem Gebiet des sogenannten Protein-Protein-Docking eine spezielle Modellierungsmethode, um die Bildung der Chaperonkomplexe zu simulieren. Diese Modellierung auf molekularer Ebene bildete die entscheidende Grundlage für das Verständnis der dynamischen Interaktionen, die der koordinierten Aktivität der zwei J-Proteintypen im Chaperonkomplex zugrunde liegt. Nach Angaben von Prof. Bukau steht die Forschung nun vor der Herausforderung, die physiologische Rolle und das Potential dieses neuentdeckten Mechanismus soweit zu verstehen, dass die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung für die Umsetzung in den klinischen Bereich genutzt werden können. Die Forscher erhoffen sich davon neue Anstöße für die künftige Entwicklung von therapeutischen Interventionsmethoden. Originalpublikation: Crucial HSP70 co-chaperone complex unlocks metazoan protein disaggregation Bernd Bukau et al.; Nature, doi: 10.1038/nature14884; 2015