Qualitätsindikatoren und finanzielle Sanktionen korrelieren bei Kliniken nicht mit der tatsächlichen Leistung, berichten US-Forscher. Deutschlands Gesundheitspolitikern sollte die Untersuchung eine Warnung sein. Ihr Krankenhausstrukturgesetz sieht ähnliche Anreizsysteme vor.
Aufregung in den Staaten: Ravi Rajaram und Karl Y. Bilimoria, Chicago, haben Daten zur Qualität von 3.284 amerikanischen Kliniken kritisch unter die Lupe genommen. Alle Häuser behandelten einkommensschwache Patienten im Rahmen von Verträgen mit Medicaid und Medicare. Forscher nahmen Qualitätsaspekte bei unterschiedlichen OPs, aber auch bei der Behandlung von Pneumonien, Herzinsuffizienzen oder vom akuten Koronarsyndrom unter ihre Lupe.
Das Ergebnis [Paywall]: Nach vorgegebenen Kriterien schnitten 22 Prozent aller Krankenhäuser besonders schlecht ab und wurden über „Pay for Performance“-Maßnahmen bestraft. Häufig mussten Klinken Einbußen in Kauf nehmen, deren Ärzte besonders engagiert waren. Kollegen in Lehrkrankhäusern widmeten sich beispielsweise Medizinstudenten. Sie hatten mehr Qualitätsakkreditierungen, bildeten sich häufiger fort und offerierten Services außer der Reihe. Gleichzeitig gab es mehr multimorbide Patienten und kompliziertere Fälle als in anderen Einrichtungen – und eine schlechtere Bewertung. Wie lässt sich dieses Paradoxon erklären? Rajaram und Bilimoria berichten von hochwertigeren Daten bei vermeintlich schlechteren Häusern – Ärzte hatten Mängel einfach akkurater dokumentiert als ihre Kollegen. Bilimoria: „Manche Krankenhäuser erfassen sehr genau Nebenwirkungen, Komplikationen und andere Fehler. Wenn sie dann schlechter abschneiden als solche mit einer schlampigen Fehlerkontrolle, ist das nicht korrekt.“ Den Autoren zufolge schnitten Kliniken, die vom Staat monetäre Strafen hinnehmen mussten, bei weiteren Qualitätsindikatoren deutlich besser ab als ihre Konkurrenz.
Auch hierzulande sind die Folgen der Veröffentlichung spürbar. Laut Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), mache die Analyse „mehr als deutlich, dass scheinbar einfach messbare Indikatoren wie Komplikations- und Infektionsraten in weit größerem Umfang als angenommen von den sozioökonomischen Rahmenbedingungen derjenigen, die Krankenhäuser nutzen, abhängig sind“. Kliniken mit vielen Patienten aus sozialen Problemregionen könnten fälschlicherweise als schlecht bewertet werden. Die Kontroverse hat wie so oft einen politischen Hintergrund: Vor wenigen Wochen schickte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sein Krankenhausstrukturgesetz auf den parlamentarischen Weg. Im Regierungsentwurf heißt es vollmundig: „Qualität wird als Kriterium bei der Krankenhausplanung eingeführt. [...] Bei der Krankenhausvergütung wird künftig auch an Qualitätsaspekte angeknüpft. Es werden Qualitätszu- und -abschläge für Leistungen eingeführt. Die Qualitätsberichte der Krankenhäuser werden patientenfreundlicher gestaltet, denn Patientinnen und Patienten benötigen leichter nutzbare Informationen über die Qualität der Versorgung im Krankenhaus.“ Die Quintessenz: Kostenträger können im schlimmsten Falle ein Klinikum schließen und Ärzte beziehungsweise Pflegekräfte vor die Tür setzen. Und Patienten werden Häuser mit vermeintlich besseren Qualitätsmerkmalen, die vielleicht viele hundert Kilometer entfernt sind, bevorzugen.
Jetzt ist guter Rat teuer, um nicht in eine ähnliche Misere zu schlittern wie engagierte Ärzte in amerikanischen Kliniken. Unwahrscheinlich sind derartige Befürchtungen nicht: Im Rahmen ihrer IGES-Studie zur Qualitätsmessung im Krankenhaus erwähnt der Verband der Ersatzkassen (vdek) „Pay for Performance“ im stationären Sektor als Szenario. Momentan sind nur strukturierte Qualitätsberichte nach Paragraph 137 SGB V vorgesehen – inklusive Veröffentlichung, aber ohne monetäre Sanktion. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nennt Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität als wichtige Kriterien, weist aber gleichzeitig auf Schwächen hin: „Wenn in einer Krankenhausabteilung, in der Menschen nach einem Herzinfarkt behandelt werden, nur wenige Patientinnen oder Patienten sterben, kann das ein Hinweis auf gute Qualität der dortigen Behandlung sein.“ Kann – muss aber nicht: „Es könnte etwa sein, dass die Notfallversorgung vor Erreichen des Krankenhauses nicht gut funktioniert.“ Das Beispiel macht klar, wie schwer sinnvolle Indikatoren zu finden sind.
Bleibt noch eine Wunderwaffe: Ab Januar 2016 arbeitet das neue Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG) an Szenarien, um im stationären Bereich Qualität zu messen und zu vergleichen. Vergütungsrelevanten Indikatoren sollen bis Ende 2017 vorliegen. Da war doch was: Im Herbst des gleichen Jahres werden alle Deutschen zur Urne gehen, um den 19. Deutschen Bundestag zu wählen. Inwieweit eine neue Bundesregierung „Pay for Performance“ tatsächlich umsetzen wird, ist eine andere Sache. Kommt Zeit, kommt Rat. Originalpublikation: Hospital Characteristics Associated With Penalties in the Centers for Medicare & Medicaid Services Hospital-Acquired Condition Reduction Program [Paywall] Ravi Rajaram et al.; JAMA, doi: 10.1001/jama.2015.8609; 2015