Kieler Wissenschaftler arbeiten an einem Ansatz, mit dem sich Glioblastome lokal und über einen längeren Zeitraum therapieren lassen könnten. Dafür haben sie eine feine Silikonstruktur entwickelt, die über Tage Wirkstoffe abgeben kann.
Glioblastome gehören zu den aggressivsten Gehirntumoren bei Erwachsenen. Durch ihr schnelles Wachstum und ihre Verschiedenartigkeit sind Glioblastome schwer zu behandeln. Operativ lassen sich die bösartigen Tumore in der Regel nicht vollständig oder dauerhaft entfernen. Im Anschluss folgt daher eine kombinierte Strahlen- und Chemotherapie, die allerdings mit Nebenwirkungen auf den gesamten menschlichen Körper verbunden sein kann.
Als mögliche Alternative werden daher lokale Therapieansätze erforscht. Daran forschen auch Wissenschaftler aus der Materialwissenschaft und Medizin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel. Im Graduiertenkolleg 2154 „Materials for Brain“ entwickeln sie gemeinsam neue Materialien für lokale Behandlungsstrategien bei chronischen Gehirnerkrankungen wie Epilepsie, Aneurysmen oder Tumoren.
Zur Behandlung von Glioblastomen stellten sie nun einen Ansatz für eine besondere Silikonstruktur vor. Mit ihr könnten medizinische Wirkstoffe über einen langen Zeitraum kontrolliert an das Gehirn abgegeben und Tumoren so schonender behandelt werden. Ihre Studie erschien im Journal ACS Biomaterials Science & Engineering.
„Bisherige lokale Ansätze können große Mengen an Wirkstoff in kurzer Zeit freisetzen. Wir wollen Medikamente aber über eine längere Zeit kontinuierlich abgeben, um das Tumorwachstum länger zu hemmen“, erklärt Materialwissenschaftler Florian Rasch, einer der Erstautoren der Kieler Studie. Das Forschungsteam entwickelte eine spezielle, wenige Millimeter große Materialstruktur aus biokompatiblem Silikon, die medizinische Wirkstoffe abgeben kann. In das Material ätzten sie feine Tunnel mit einem Durchmesser von etwa zwei Mikrometern, was einem Zehntel eines menschlichen Haares entspricht. „Diese Tunnel bilden ein dicht verzweigtes Netzwerk, das wir mit unterschiedlichen Wirkstoffen befüllen können“, erläutert der Doktorand.
Eine der Tunnelröhren in 12.000-facher Vergrößerung unter dem Rasterelektronenmikroskop. Quelle: Florian Rasch
Im Anschluss an die operative Entfernung eines Glioblastoms wird das Material direkt im Gewebe des Gehirns platziert, so das Ziel des Forschungsteams. Dort soll der Wirkstoff langsam aus dem Tunnel-Netzwerk entweichen und vor Ort seine therapeutische Wirkung entfalten. „Je geringer die Anzahl der Tunnelöffnungen im Material und damit der Zugänge nach draußen, desto länger dauert es, bis der komplette Wirkstoff an das Gehirn abgegeben ist“, erklärt Christina Schmitt. Sie hat als Doktorandin am Anatomischen Institut Kiel an der Studie mitgewirkt.
In der Studie arbeitete das Team mit dem Wirkstoff AT101, der aus Baumwollpflanzen gewonnen wird und aufgrund seines tumorhemmenden Potenzials für die Behandlung von Glioblastomen interessant ist. „Wir konnten zeigen, dass sich der Wirkstoff auf diese Weise über bis zu zehn Tage lang abgeben lässt. Prinzipiell sind sogar mehrere Wochen bis Monate denkbar“, sagt Vivian Adamski, mittlerweile promovierte Biochemikerin. Als Doktorandin an der Klinik für Neurochirurgie Kiel untersuchte Adamski für die Studie die Wirksamkeit des so freigesetzten Wirkstoffs in Krebszellen, Schmitt untersuchte die Auswirkungen auf gesunde Zellkulturen.
Die Untersuchung erfolgte im Rahmen eines kombinatorischen Therapieansatzes bestehend aus dem Glioblastom-Standardtherapeutikum Temozolomid und dem aus dem Tunnelsystem freigesetzten Wirkstoff AT101. „Wir stellten deutliche wachstumshemmende und abtötende Effekte auf die Glioblastom-Zellen fest, während die gesunden Zellen weitestgehend unberührt blieben. Diese Ergebnisse sind vielversprechend für die weiteren Untersuchungen“, so Adamski weiter.
Die Wirkstoffabgabe können die Forschenden individuell an den jeweiligen Tumor und die benötigte Therapie anpassen, indem sie die Anzahl der Tunnel im Silikonmaterial variieren. Andere Ansätze mit ähnlichen Hohlröhren konnten bisher nur mit weitaus aufwendigeren Herstellungsverfahren in speziellen Reinraumumgebungen realisiert werden. Die technischen Anforderungen dort ließen jedoch kaum individuelle Anpassungen zu.
Die vollständige Pressemitteilung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel könnt ihr hier lesen.
Bildquelle: Robina Weermeijer, Unsplash