GASTBEITRAG | Die Frau kann zu Hause bleiben, um das Kind groß zu ziehen. Der Mann aber auch – sogar, wenn er Arzt ist. Ein Allgemeinmediziner erzählt, wie ihm das gelungen ist.
Kürzlich habe ich auf diesem Portal über Männer und Frauen im Medizinberuf gelesen. Es ging unter anderem um den hohen weiblichen Anteil bei Studenten und darum, dass viele Frauen letztendlich nicht als Ärztin tätig werden. Es ging auch um eine fehlende Work-Life-Balance in vielen Berufen und das Problem, dass die Betreuung von Kindern immer noch hauptsächlich von den Frauen übernommen wird, während der Mann sein Leben unverändert weiterführt.
Und hier komme ich ins Spiel. Denn ich bin ein Gegenbeispiel, von denen es noch immer nicht allzu viele gibt – schon gar nicht im Arztberuf. Es ist beinahe 40 Jahre her, dass ich mich dazu entschied, ein Teilzeitmodell zu wählen. In der Klinik, in der ich damals arbeitete, fand ich einen (ebenfalls männlichen) Kollegen, der bereit war, sich eine volle Assistentenstelle mit mir zu teilen. Das war ein großes Glück. Auch mein Vorgesetzter zeigte Verständnis und stimmte dieser (damals erst recht) innovativen ungewöhnlichen Lösung zu.
Warum ich mich zu diesem Teilzeitjob entschied? Meine Frau (ebenfalls Ärztin im Praktischen Jahr, Staatsexamen bevorstehend) sollte auch die Möglichkeit haben, ihr Studium abzuschließen und arbeiten zu gehen. Unser Sohn war damals im Säuglingsalter und ich wollte meine Partnerin bei den Prüfungsvorbereitungen unterstützen und entlasten. Auf diese Weise konnte sie sich auf ihre Staatsexamen-Prüfung vorbereiten. Das hat gut geklappt.
Nach diesen 2 Jahren Teilzeitarbeit folgten fast zwei Jahre Arbeitspause, in der ich das getan habe, was mehrheitlich die Frauen machen: Ich war zu Hause und meine Frau ging arbeiten, um als Assistenzärztin Berufserfahrung sammeln zu können.
Was wir geschafft haben, könnten auch andere in der Medizin Beschäftige realisieren. Wer wollte, der konnte auch damals schon – als Mann – auf die Karriere zum Ober- oder Chefarzt verzichten und den Facharztabschluss etwas nach hinten schieben. Heute sollte das vielleicht sogar noch ein bisschen leichter umzusetzen sein.
Ich fahre keinen Porsche oder ein ähnliches Prestigeauto, wie es manche der ehrgeizigeren Kollegen tun. Meine Familie hatte ein auskömmliches Leben, nur eben etwas weniger Geld. Ja, ich bin kein Verkäufer im Lebensmittelhandel, oder Friseur, der dieses Vorhaben vermutlich mit seiner Frau nicht realisieren kann – ich bin Arzt. Aber auch ich konnte mit etwas weniger „Reichtum“ gut über die Runden kommen.
Und damit sind wir beim Grundproblem angelangt: Ein jeder möchte gerne viel Geld verdienen bei viel Freizeit und guter Work-Life-Balance. Letztere ist bei den meisten Chefärzten dank deren Ehefrauen auch möglich – diese halten ihnen den Rücken frei, während die Männer dafür „das Geld herbeischaffen“. Oft sind diese ebenfalls Ärztinnen mit abgeschlossenem Studium.
Ich bin froh, einen anderen Weg gefunden zu haben, der besser zu mir und meiner Frau passte. Selbst heute noch, im Jahr 2020, ist es ungemein schwierig, in unserer Gesellschaft einen anderen Weg zu gehen als den altbackenen und überkommenen. In den Köpfen herrscht immer noch das fest verwurzelte Lebensmodell: „Die Frau kümmert sich um Haus und Familie. Sie kann das viel besser“. Das gilt für viele männliche, aber auch nicht wenige weibliche Köpfe - denn die Erziehung unsere Eltern war eine solche und sie wirkt noch heute.
Und ich bin immer wieder überrascht, wie wenig wir noch immer nicht bereit sind, vom „altbacken überkommenen Handlungsmuster“ abzuweichen. Dennoch: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Es gab ihn auch schon vor 40 Jahren.
Der Autor möchte anonym bleiben.
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