„Ich möchte mein Tier nicht mit Chemie vollpumpen“, höre ich in meiner Praxis oft von Tierbesitzern. Wann hat man eigentlich aufgehört, Fachleuten zu vertrauen?
Man sollte doch meinen, dass ein Studium, eine Ausbildung, ein Fach-/Tierarzt den Menschen eigentlich zeigen sollte, dass man sich seit langer Zeit mit seinem Fachgebiet auseinandersetzt, und Ratschläge in der Regel fundiert erfolgen. Studien, die zur Zulassung von Medikamenten gemacht werden, sind auch in der Tiermedizin aufwendig, setzen eine bestimmte Gruppengröße voraus und sind verblindet. Wieso denken die Besitzer trotzdem so häufig, die Tierärzte wollen ihre Tiere mit Medikamenten vergiften?
Und leider sieht man sich auch immer mehr in Konkurrenz zu Ideen und Behandlungsmethoden aus dem Internet oder sozialen Netzwerken, die natürlich nicht durch Studien belegt werden können (Meistens sogar, im Gegenteil, widerlegt werden konnten).
Wie kommt es, dass manche Menschen einfach nicht auf Experten, die sich jahrelang mit solchen Themen beschäftig haben, hören wollen?
Ich habe schon längst aufgehört mitzuzählen, wie oft man mit kuriosen Ideen in der Tiermedizin zu tun hat. Allein der Satz „Ich möchte mein Tier nicht mit so viel Chemie vollpumpen“ hat mich vor ein paar Jahren noch auf die Palme gebracht, führt aber mittlerweile nur noch zum (inneren) Augenverdrehen. Manchmal frage ich noch: „Was meinen Sie denn mit Chemie?“, um den Leuten vor Augen zu führen, dass eigentlich alles „Chemie“ ist. Von der TK-Pizza bis zum Duschbad – und auch in der Natur.
Ich versuche, über Zeckenschutz und Impfungen und Prophylaxemaßnahmen aufzuklären, führe Studien an, die mir einfallen, aber es ist egal. Weil die Menschen irgendwo in den Sozialen Netzwerken gelesen haben, man könnte dem Hund auch einfach Kokosöl füttern und ihn in Kümmelöl baden und impfen sei sowieso nur ein Vorwand der Tierärzte, den armen Tierhaltern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Wenn dann die Vektor-übertragene Erkrankung oder die Leptospirose irgendwann doch ausbricht, ist es meist schlimm und der Tierarzt muss alles tun, um noch helfen zu können.
Natürlich versuche ich immer, auf Augenhöhe mit den Patientenbesitzern (ja, so nennen wir sie in der Tiermedizin) zu kommunizieren. Die Zeit der „Halbgötter in Weiß“, in jeder Fachrichtung, ist einfach vorbei. Aber manchmal ertappe ich mich doch dabei, mir so ein Vertrauen zurückzuwünschen.
Das erkenne ich daran, wenn Leute einfach mal das machen, was man ihnen geraten hat: Die Medikamente ihrem Tier genauso verabreicht haben wie besprochen, den verhassten Halskragen als Leckschutz tatsächlich drangelassen haben („Nein, das ging gar nicht! Da wurde die Sissi ja depressiv“) und der Erfolg sich dann – tada! – nach der erwarteten Zeit einstellt. So etwas macht mich glücklich und die Besitzer auch. Nur, wie häufig ist das der Fall? Leider nicht so oft, wie ich es mir wünschen würde. Und diese Diskussionen darüber rauben einem manchmal echt den letzten Nerv.
Da frage ich mich, wie es passieren konnte, dass die Menschen das Vertrauen in die Medizin verloren haben. Oder in uns Ärzte und Tierärzte. Wie kann es sein, dass man Menschen, die man nicht kennt, die kein Fachwissen besitzen, und die man nur in Videos auf Instagram oder Facebook gesehen hat, mehr Vertrauen entgegen bringt? Oder liegt es daran, dass solche Meinungsmacher einem oft einen einfacheren Weg bieten? Den Weg mit weniger Widerstand, weniger Kosten, weniger Nachdenken.
Das, was man nicht auf Anhieb versteht, macht vielen zunächst Angst und wenn man es selbst nach Erklärungsversuchen noch nicht ganz versteht, macht man sich vielleicht lieber selber seine Gedanken, als anderen zu vertrauen. Natürlich gibt es leider immer schwarze Schafe, keine Frage. Da schüttelt man selber manchmal den Kopf über Kollegen.
Aber so ist es nun mal leider in jeder Branche. Auch ich muss einfach darauf vertrauen, dass der KFZ-Mechaniker bei der Inspektion meines Autos nichts übersehen hat, oder andersherum: Nicht einen Fehler gefunden hat, der eigentlich gar nicht bestand.
Aber was soll ich tun? Natürlich kann ich mir hunderte von Videos ansehen und versuchen, mir selbst eine Art Vorabcheck bei meinem Auto beizubringen, aber wie sinnvoll ist das? Und könnte ich das wirklich, drei Jahre Ausbildung und Berufserfahrung und Hintergrundwissen ersetzen? Nein!
Also muss man im Leben einfach manchmal darauf vertrauen, dass die Menschen, die sich in ein spezielles Gebiet eingearbeitet haben, auch gut darin sind. Dass jahrelange Erfahrung, Publikationen und eine Ausbildung auch wirklich etwas zu bedeuten haben. Versucht doch einfach mal, anderen Menschen mehr zu vertrauen. Auch ich werde das tun und nun einen Termin in der Autowerkstatt vereinbaren.
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