Für viele Parkinson-Patienten mit schweren Symptomen sind Hirnschrittmacher die letzte Hoffnung. Ein neues Gerät soll deren Lebensqualität und Beweglichkeit nun erheblich verbessern. Doch ein direkter Vergleich mit den bislang verwendeten Systemen fehlt.
Wenn sich bei Parkinson-Patienten mithilfe von Medikamenten ein starker Wechsel zwischen guter und schlechter Beweglichkeit nicht mehr verhindern lässt oder ein Zittern nicht ausreichend gelindert werden kann, dann ist die Tiefe Hirnstimulation immer häufiger die Methode der Wahl. Dabei führt der behandelnde Neurochirurg ein oder zwei Elektroden in das Gehirn des Patienten ein, die er anschließend mit einem Impulsgenerator in der Brust oder Oberbauch des Patienten verbindet. Der Impulsgenerator sendet elektrische Impulse ins Gehirn, die je nach Stromfrequenz die betroffene Zielregion stimulieren oder deaktivieren. Bei dem Eingriff ist der Patient in der Regel bei vollem Bewusstsein, damit durch eine Teststimulation die Wirksamkeit der Elektroden und deren exakte Lage getestet werden kann.
Als Zielpunkt des Eingriffs wird meist der Nucleus subthalamicus ausgewählt, der durch die Erkrankung überaktiv ist. Auch wenn noch unklar ist, wie die tiefe Hirnstimulation genau funktioniert, so gehen Forscher davon aus, dass durch den hochfrequenten Stromfluss eine Hemmung der überaktiven Hirnregion stattfindet. Die bislang hauptsächlich verwendeten Hirnschrittmacher setzen den Neurochirurgen relativ enge Grenzen: „Diese Geräte besitzen zwar mehrere Kontakte, um unterschiedliche Regionen im Gehirn zu beeinflussen, doch die Kontakte lassen sich nicht unabhängig voneinander regulieren“, erklärt Lars Timmermann, Leiter der Arbeitsgruppe Bewegungsstörungen und Tiefe Hirnstimulation der Uniklinik Köln. „Das schränkt die Möglichkeiten ein, das individuell beste Ergebnis für den einzelnen Parkinson-Patienten zu finden.“ Nun könnte ein Hirnschrittmacher mit Kontakten, die separat angesteuert werden können, die Lebensqualität vieler Betroffener weiter erhöhen. Wie Timmermann und weitere Ärzte in der Fachzeitschrift The Lancet Neurology kürzlich mitteilten, führte das neue Gerät bei den Patienten insbesondere zu deutlichen Verbesserungen ihrer Motorik. Die Forscher setzen den Hirnschrittmacher 40 Patienten im Rahmen einer klinischen Studie [Paywall] an sechs Zentren in Europa ein. Alle Probanden litten seit mehr als fünf Jahren an der Krankheit und hatten Symptome, die sich mit Medikamenten nicht mehr kontrollieren ließen.
Die Forscher maßen die bei den Patienten nach dem Eingriff auftretenden Veränderungen mit der Unified Parkinson's Disease Rating-Skala (UPDRS). Bereits drei Monate nach der Operation hatte sich die Beweglichkeit der Patienten signifikant verbessert und der UPRDS-Punktestand von ursprünglich 37,4 auf durchschnittlich 15,0 verringert. Nach sechs Monaten betrug er nur noch 13,5. Die Ergebnisse blieben auch ein Jahr nach der Implantation auf gleichem Niveau. Bei der Lebensqualität zeigte sich eine ähnliche Entwicklung: Die Patienten waren mobiler und konnten besser den Alltagstätigkeiten nachgehen. Zudem mussten sie weniger Medikamente einnehmen als vor der Operation. „Insbesondere die Veränderungen der Motorik fielen deutlich besser aus als in Studien zu den bisherigen Hirnschrittmachern bei Morbus Parkinson“, sagt Timmermann. „Die starken Effekte hatten ihre Ursache auch darin, dass alle Patienten auf das neue Gerät ansprachen und es keinen Therapieversager gab.“ In drei Fällen traten schwere Nebenwirkungen auf, die durch das Gerät oder die Operation verursacht worden waren. Die damit verbundenen Probleme konnten von den Ärzten gelöst und die Behandlung der betreffenden Patienten fortgeführt werden. Andere Nebenwirkungen, wie beispielsweise Sprechstörungen, waren meist vorübergehend und in ihrer Häufigkeit mit Studien der bereits etablierten Hirnschrittmacher vergleichbar. Eine in der Vergangenheit oft befürchtete Gefahr trat in der Studie nicht auf: „Die Verletzung eines Blutgefäßes mit anschließender Hirnblutung passiert äußerst selten, insbesondere wenn der Eingriff in einem Zentrum mit hohem Qualitätsstandard von erfahrenen Ärzten vorgenommen wird“, sagt Timmermann.
Der in dieser Studie verwendete Hirnschrittmacher wurde von der Firma Boston Scientific entwickelt, die die Untersuchung finanzierte. Bisher gibt es noch keine weitere unabhängige Untersuchung, die dessen Wirksamkeit untermauern würde. Das neue Gerät verfügt über 16 verschiedene Kontakte, die bei jedem Patienten individuell eingestellt werden können. Alle Kontakte haben eine eigene Batterie, sodass sie voneinander unabhängig mit einem konstanten Strom versorgt werden können. „Bei den alten Geräten hatten wir rund 64.000 Einstellmöglichkeiten, bei den neuen dagegen mehrere Millionen“, berichtet Timmermann. „Deswegen haben wir uns schon im Vorfeld genau überlegt, welche Strategie wir beim jeweiligen Patienten wählen, welche Wirkungen und welche Nebenwirkungen zu erwarten sind.“ Auch wenn der behandelnde Arzt ein sehr gutes Wissen über die Programmierung des Geräts benötige, findet Timmermann, so böten die vielen Kombinationsmöglichkeiten eine gute Anpassung an den Patienten, um diesen wirklich erfolgreich behandeln zu können. Dass man das neue Gerät von außen über die Haut wiederaufladen kann, ist ein weiterer Vorteil: „Gerade bei jüngeren Patienten entfallen dann weitere Folgeeingriffe mit dem Risiko von Wundinfektionen“, so Timmermann. Bei anderen Experten stößt die Studie auf Zustimmung: „Die Untersuchung zeigt, dass sich mit dem neuen System sehr gute Ergebnisse erzielen lassen“, sagt Jens Volkmann, Direktor der Neurologischen Klinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Würzburg. „Solch hohe prozentuale Verbesserungen bei den Parkinson-Symptomen wurden bislang von keiner anderen großen Studie mit Hirnschrittmachern erreicht.“ Allerdings, so der Neurologe, schränke die Tatsache, dass kein direkter Vergleich mit anderen Geräten stattgefunden habe, die Aussagekraft der Studie ein. „Es ist nicht klar, ob es wirklich am besseren System mit seinen vielen Einstellmöglichkeiten lag oder einfach daran, dass die Eingriffe an zwei Zentren mit sehr viel Expertise erfolgten und vielleicht die Auswahl der Patienten besonders glücklich war“, findet Volkmann. „Dennoch lässt sich sagen, dass an einer spezialisierten Klinik mit dem neuen Hirnschrittmacher Ergebnisse möglich sind, die sich sehen lassen können und den Vergleich mit den klassischen Geräten standhalten.“ Nachdem die europäischen Behörden im Jahr 1998 Hirnschrittmacher zur Behandlung der Parkinson-Krankheit zugelassen hatten, war die Firma Medtronics lange Zeit der alleinige Anbieter solcher Geräte. In einer vor zwei Jahren veröffentlichten Studie mit 251 Parkinson-Patienten an 17 Kliniken in Deutschland und Frankreich erwies sich die Neurostimulation mit diesen Geräten einer alleinigen medikamentösen Therapie überlegen. 2009 kam mit der Firma St. Jude Medical ein weiterer Anbieter von Hirnschrittmachern auf den Markt. Die Geräte dieser Firma unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von den Medtronics-Geräten: „Sie stimulieren das Gewebe genauso wie das neue Gerät von Boston Scientific mit einem konstanten Strom anstatt mit einer konstanten Spannung, so dass immer die gleiche Ladung appliziert wird“, erklärt Volkmann. „In der klinischen Anwendung spielt dieser Unterschied allerdings keine große Rolle, da grundsätzlich das gleiche Prinzip dahinter steckt.“
Volkmann zufolge ist die Welt der tiefen Hirnstimulation durch den neuen Hirnschrittmacher von Boston Scientific komplizierter geworden und die Komplexität wird wohl bald weiter zunehmen: Denn mittlerweile seien segmentierte Elektroden in weit fortgeschrittener Entwicklung, die nicht nur entlang des Schaftes hoch und herunter gesteuert würden, sondern wie ein Leuchtturm den Strom in unterschiedliche Richtungen ins Gewebe abgeben könnten. Vor Kurzem ist die CE-Kennzeichnung dieser Elektroden erfolgt, sodass noch dieses Jahr klinische Untersuchungen an Patienten beginnen können. Mit aussagekräftigen Ergebnissen rechnet Volkmann in zwei bis drei Jahren. Originalpublikation: Multiple-source current steering in subthalamic nucleus deep brain stimulation for Parkinson's disease (the VANTAGE study): a non-randomised, prospective, multicentre, open-label study [Paywall] Lars Timmermann et al.; The Lancet Neurology, doi: 10.1016/S1474-4422(15)00087-3; 2015