Aktiviert man bei Taufliegen das manipulierte Myc-Gen, können aggressive Zellen durch eine Invasionsstrategie im Frühstadium der Tumorbildung in gesundes Gewebe eindringen. Das Verständnis des Invasionsmechanismus im Modell könnte helfen, die Tumorbildung präziser zu erforschen.
Wie genau sich Tumorzellen der Kontrolle ihrer Nachbarzellen entziehen können, war bisher unklar. Das Team von Eduardo Moreno, Professor am Institut für Zellbiologie der Universität Bern, hat nun herausgefunden, dass ein aus der Frühentwicklung von Embryonen bekannter Mechanismus auch zu Beginn der Tumorentwicklung bei Erwachsenen eine Rolle spielen könnte.
Die Forscher haben in ihrem vom Schweizerischer Nationalfond unterstützten Projekt, Zellen von Fruchtfliegenpuppen bei ihrer Entwicklung unter dem Mikroskop gefilmt. Die genetisch veränderten Fruchtfliegen sind Träger eines künstlich aktivierten Gens namens Myc, das in der Entstehung von Tumoren eine Rolle spielt. Die Aktivierung allein führte dazu, dass sich abnormale Zellen aktiver teilten, sich zwischen gesunden Zellen durchzwängten, diese töteten und deren Platz einnahmen. Dass dieser Mechanismus beim Befall von Gewebe im ersten Stadium der Tumorentwicklung mitspielt, ist neu und unerwartet. „Die Aktivierung des Tumorgens verlieh den Zellen spezielle mechanische Eigenschaften, um sich unter die normalen Zellen zu mischen, sie einzukreisen und sie damit effizienter zu töten“, erklärt Romain Levayer, Erstautor der Studie. „Es war bekannt, dass dieser Invasionsmechanismus während der embryonalen Entwicklung aktiv ist, wenn Zellen sich neu anordnen, um den Körper zu formen. Wir haben nun gezeigt, dass Zellen in der Lage sind, dasselbe Programm zu verwenden, um in gesundes Gewebe einzudringen“, sagt Moreno. Die Forscher beschreiben das Verhalten der aggressiven Zellen mit der bekannten militärischen Strategie „teile und herrsche“.
Der Mechanismus, der sich von den Invasionsmechanismen von Metastasen in späteren Tumorstadien unterscheidet, könnte den Beginn der Tumorentwicklung bei den meisten Krebsarten erklären. „Wir konnten den Mechanismus bei Fruchtfliegenpuppen beobachten. Die Fruchtfliege wurde als Modell gewählt, weil sie genetisch einfach verändert werden kann. Da die Puppe sich nicht bewegt und durchsichtig ist, bietet sie sich für die Beobachtung unter dem Mikroskop an“, erklärt Moreno. Rund 90 Prozent aller Krebsarten bilden sich in Deck- und Drüsengeweben, wie bei den gefilmten Puppen: im Darm, in der Haut oder in der Brustdrüse. Das manipulierte Myc-Gen ist das am häufigsten fehlregulierte Gen bei Tumoren. Wahrscheinlich spielt dieser entdeckte Mechanismus bei den meisten Krebsarten eine Rolle und könnte somit die Wissenschaftler dabei leiten, neue Strategien zur Verhinderung der Tumorbildung im Anfangsstadium zu finden, bevor großer Schaden angerichtet wurde. Originalpublikation: Cell mixing induced by myc is required for competitive tissue invasion and destruction Romain Levayer et al.; Nature, doi: 10.1038/nature14684; 2015