Der Hippocampus ist im Schläfenlappen des Gehirns nicht nur für das Langzeitgedächtnis mitverantwortlich. Er beteiligt sich auch an der schnellen und erfolgreichen Lösung von Handlungskonflikten – eine Funktion, die scheinbar auch aktiv mit der Gedächtnisbildung interagiert.
Im Alltag sind Menschen ständig mit Entscheidungskonflikten konfrontiert, vor allem dann, wenn sie eine normalerweise sinnvolle Handlung unterdrücken müssen. Ein Beispiel: Wenn die Fußgängerampel auf Grün springt, würde ein Passant üblicherweise losgehen. Wenn sich jedoch gleichzeitig ein Auto nähert, bleibt er in diesem Fall besser stehen. Im Experiment wählte das Team um Prof. Dr. Nikolai Axmacher von der Ruhr-Universität Bochum eine weniger bedrohliche Situation. Probanden hörten die Wörter „hoch“ oder „tief“ in einer hohen oder einer tiefen Stimmlage und mussten – unabhängig von der Wortbedeutung – angeben, in welcher Tonhöhe der Sprecher die Begriffe sagte. Wenn Stimmlage und Wortbedeutung nicht zusammenpassen, erzeugt das einen Konflikt: Die Teilnehmer antworten langsamer und machen mehr Fehler.
Mittels zweier Messmethoden zeigte das Team, dass der Hippocampus in solch widersprüchlichen Situationen aktiv ist, und zwar besonders stark, wenn Menschen Konflikte schnell und erfolgreich lösen. Sie analysierten die Hirnaktivität bei gesunden Teilnehmern mit der funktionellen Magnetresonanztomografie. Die gleichen Ergebnisse erzielten sie auch bei Epilepsiepatienten, denen zur Operationsplanung EEG-Elektroden in den Hippocampus implantiert wurden. So konnten die Wissenschaftler die Aktivität dieser Hirnregion direkt messen. Da der Hippocampus entscheidend für das Gedächtnis ist, spekulieren die Forscher über seine Rolle bei der Konfliktlösung: „Unsere Daten zeigen zunächst eine komplett neue Aufgabe des Hippocampus – das Verarbeiten von Handlungskonflikten“, sagt Carina Oehrn von der Klinik für Epileptologie des Universitätsklinikums Bonn. „Die Frage nach der Interaktion dieser Funktion mit Gedächtnisprozessen werden wir jedoch erst durch weitere Untersuchungen klären können“. „Vielleicht wird das Gedächtnissystem besonders aktiv, wenn es gelingt, einen Konflikt zu lösen“, spekuliert Axmacher. „Aus dauerhaft ungelösten Konflikten kann man keine hilfreichen Lehren für die Zukunft ziehen. Nach unserem Modell arbeitet das Gedächtnis wie ein Filter. Gelöste Konflikte sprechen es besonders an, ungelöste Widersprüche oder Standardsituationen hingegen nicht. Diese These müssen wir aber in weiteren Studien überprüfen.“ Originalpublikation: Human Hippocampal Dynamics during Response Conflict Carina R. Oehrn et al.; Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2015.07.032; 2015