Escherichia coli-Bakterien docken mittels „Pili“ an der menschlichen Schleimhaut an. Durch verschiedene Bildgebungstechnologien konnte der Vorgang bis ins atomare Detail aufgeschlüsselt werden. Die Erkenntnisse liefern potenzielle Ansatzpunkte für neue Therapeutika.
Gegen Harnwegsinfektionen verfügt der Körper über eine schlichte, aber effektive Abwehrstrategie: Geraten Bakterien in den Harntrakt, werden die Eindringlinge mit dem Urin wieder herausgespült. In manchen Fällen aber gelingt es ihnen, an der Innenwand der Blase Halt zu finden: So wie Moos in einem reißenden Fluss gedeihen kann, besiedeln die Einzeller dann die Schleimhäute der Harnwege – mit schmerzhaften Folgen.
Der überwiegende Teil der Harnwegsinfekte wird von Escherichia coli-Bakterien verursacht, die normalerweise im menschlichen Darm leben, und die auf ihrer Oberfläche mit Hunderten feinster Härchen, den sogenannten Pili bestückt sind. „Man kann sich jeden einzelnen Pilus wie eine Angelleine vorstellen“, sagt Adam Lange vom Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie Berlin. „Die Leine ist fest und zugleich flexibel, und an ihrem Ende sitzt ein weiterer Proteinbaustein, der sich wie ein Angelhaken spezifisch an bestimmte Moleküle der menschlichen Schleimhaut anheftet.“ Lange untersuchte mit seiner Gruppe den Pilus vom Typ 1, durch den sich Darmbakterien an der Blaseninnenwand festsetzen. Er ist aus rund 3000 identischen Proteinbausteinen aufgebaut, die perfekt ineinander passen und sich zu einer gewundenen Helix aneinanderlagern. Die Analyse eines solch komplexen Gebildes ist für Strukturbiologen eine besondere Herausforderung, da der Molekülkomplex weder auskristallisiert noch löslich ist. Lange ging das Problem deswegen mit einer Kombination dreier verschiedener Methoden an. Durch Elektronenmikroskopie wurde der Aufbau eines Pilus grob ersichtlich; mittels Kernspinresonanz (NMR) ermittelte er die atomare Struktur der einzelnen Eiweißbausteine. Außerdem setzte er die Festkörper-NMR ein, mit der sich unlösliche Proteinaggregate analysieren lassen. „Je genauer wir Krankheitserreger bis hin ins atomare Detail verstehen, desto eher wird es gelingen, neue Wirkstoffe zu finden, die gezielt Infektionsmechanismen blockieren“, sagt Lange. Originalpublikation: Hybrid Structure of the Type 1 Pilus of Uropathogenic Escherichia coli Dr. Birgit Habenstein et al.; Angewandte Chemie, doi:10.1002/anie.201505065; 2015