Ob in Klinik oder Praxis – immer häufiger werden Ärzte sowie Praxis- und Pflegepersonal Opfer aggressiver Angriffe ihrer Patienten. Die wüsten Attacken reichen von Beschimpfungen bis hin zu massiven Prügeleien. Jüngst gipfelte ein Gewaltexzess gegen eine Ärztin sogar in Mord.
Viele Klinikärzte und niedergelassene Mediziner – allen voran die Hausärzte – müssen Pöbeleien und körperliche Angriffe hierzulande inzwischen als Teil ihres Arbeitsalltags ertragen. Zu diesem Ergebnis kommt eine bundesweite Befragungsstudie der Technischen Universität München. In den 1.408 ausgewerteten Fragebögen gaben 91 Prozent der befragten Allgemeinmediziner und praktischen Ärzte an, schon einmal im Laufe ihres Berufslebens mit aggressiven Patienten konfrontiert worden zu sein. Für die letzten 12 Monate traf dies immerhin noch auf drei Viertel der Ärzte zu. Am häufigsten berichteten die Befragten von Beleidigungen und Beschimpfungen, aber auch körperliche Übergriffe wie Schubsen, Beißen oder Treten sowie Sachbeschädigung durch Randalieren wurden genannt. Und auch beim Thema Sicherheitsgefühl gibt es Probleme: Obwohl sich die Mehrheit in ihrer eigenen Praxis sicher fühlte, war dies bei 66 Prozent der Ärztinnen und 34 Prozent der Ärzte bei Hausbesuchen im Rahmen des Bereitschaftsdienstes nicht der Fall.
Auch Klinikärzte sind oft mit aggressiven Patienten konfrontiert. Mitunter wechselt der Arzt sogar ungewollt in die Rolle des Patienten, wenn dieser ihn krankenhausreif geprügelt hat – so geschehen am Klinikum Nürnberg. „Der Patient wollte die Verschreibung einer Kur, für die die Ärztin keine Indikation sah, daraufhin schlug er sie zusammen“, berichtet der Klinikleiter Dr. Dr. Günter Niklewski. Der schockierendste Gewaltangriff ereignete sich im März diesen Jahres in Saarbrücken: Ein ehemaliger Patient einer Neurologin betrat deren Praxis und schoss die Frau nieder; das Opfer verstarb noch am Tatort. Nicht nur Ärzte, sondern auch das Pflegepersonal ist den Patientenattacken häufig ausgeliefert, wie die bereits 2005 veröffentlichte NEXT-Studie zeigen konnte. In der Untersuchung der Universität Wuppertal gaben knapp 70 Prozent der Pflegefachkräfte von Psychiatrien sowie Alten- und Pflegeheimen an, sehr häufig mit aggressiven Patienten konfrontiert zu sein. Mit weitreichenden Folgen für die Betroffenen: Die Studie sieht einen nachweislichen Zusammenhang zwischen der emotionalen Belastung infolge der Gewalterfahrung und dem Risiko, ein Burnout-Syndrom zu entwickeln.
Warum Patienten ihre Wut an Ärzten und Pflegenden auslassen, hat vermutlich vielschichtige Gründe. Professor Ernst Engelke betreut Ärzte und Pflegepersonal, die durch Gewalterlebnisse traumatisiert sind. Seiner Ansicht nach tragen Politik, Krankenhäuser und Patienten gemeinsam die Verantwortung für das zunehmende Problem. Professor Engelke beklagt dabei auch das Auftreten der Kliniken nach außen: „Die Krankenhäuser werben in ihren Leitlinien damit: ‚Der Patient steht bei uns immer im Mittelpunkt‘. Das stimmt ja nicht. Die Krankenhäuser sollten eher schreiben: ‚Wir behandeln Sie gern, wenn Sie drankommen. Und das kann dauern‘.“ Tatsächlich kommen kritische Situationen vor allem im Bereich der chronisch unterfinanzierten Notfallambulanzen vor. Ärzte und Pfleger sind aufgrund des Personalmangels besonders hohen Arbeitsbelastungen ausgesetzt. Patienten müssen häufig lange Wartezeiten in Kauf nehmen; erschwerend kommt hinzu, dass viele Patienten auch wegen Bagatellen die Notaufnahme aufsuchen, sodass Ärzten noch weniger Zeit für die echten Notfälle bleibt. Patienten und Angehörige ihrerseits sind emotional unter Druck: Stress und Angst, gepaart mit dem Gefühl der Abhängigkeit vom behandelnden Arzt, können zu einer sinkenden Hemmschwelle beitragen. Ein maßgeblicher Faktor in diesem Konflikt ist auch, dass sich Ärzte aufgrund des chronischen Zeitdrucks oft nur auf ein Mindestmaß an Kommunikation beschränken. Ist der Patient dann endlich an der Reihe, fühlt er sich abgefertigt. So stellt Professor Ulrich Schwantes in einer Fachtagung zur Arzt- und Patientenkommunikation der KBV fest, dass Ärzte ihre Patienten nach durchschnittlich nur 10 bis 20 Sekunden Redezeit unterbrechen.
Um Aggressionen und Gewaltausbrüchen von Patienten vorzubeugen, sollten Ärzte aus der Deckung kommen, indem sie sich in Aus-, Fort- und Weiterbildung konkrete Deeskalationsstrategien aneignen, rät eine Broschüre der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege. Das primäre Ziel bestehe darin, Aggressionspotenziale rechtzeitig zu erkennen und effektiv abzuwenden. Damit die Emotionen der Patienten gar nicht erst hochkochen, ist eine angemessene Kommunikation zwischen Arzt und Patient eine Schlüsselkompetenz. Die kommunikativen Fähigkeiten sollten dabei nicht alleine vom individuellen Talent des jeweiligen Arztes abhängen, sondern müssen gezielt gestützt und gefördert werden. Professor Schwantes forderte daher auf dem diesjährigen Deutschen Ärztetag, dass die Fakultäten die in der Approbationsordnung für Ärzte festgelegte Kompetenzentwicklung in der ärztlichen Gesprächsführung konsequent ausbauen müssen. „Haltung, Verhalten und Sprache prägen die Begegnung mit dem Patienten. Wenn wir die Sprache im Umgang mit dem Patienten verlieren, mutieren wir zu Medizinern der Technik, fragmentierten und fragmentierenden Spezialisten und machen uns substituierbar“, so Schwantes weiter. Die Delegierten des Ärztetages drängten zudem darauf, ärztliche Kommunikation auch durch entsprechende Übungssituationen zu trainieren. Als Voraussetzung einer adäquaten Gesprächsführung sieht Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen: „Zudem muss ausreichend Zeit für diese so wichtige Form der ärztlichen Zuwendung und Tätigkeit zur Verfügung stehen. Dies ist bei der Bewertung ärztlicher Tätigkeit, bei der Bedarfsermittlung und bei Stellenplänen zwingend zu beachten.“ Eine Forderung, deren Umsetzung letztlich von der Finanzierung abhängt.
Manche Krankenhäuser begegnen dem Thema „prügelnde Patienten“ jedoch auch auf ganz andere Weise: So engagierte das Klinikum Nürnberg schlichtweg einen Sicherheitsdienst für die Notfallambulanz, um das Problem in den Griff zu bekommen. Die Security-Männer begleiten Ärzte und Pfleger sogar bis ans Patientenbett. Die Ärzte des Klinikums befürworten diese Entscheidung und freuen sich über die Hilfe der Sicherheitsleute in ihrem Arbeitsalltag. In Zeiten knapper Klinikkassen empfinden Kritiker solche Maßnahmen allerdings als Affront – sie sehen das Geld sinnvoller in verbesserte Personalschlüssel investiert, um das Problem bei der Wurzel zu packen. „Das Maß ist voll“, argumentiert Klinikleiter Dr. Niklewski. „Wir müssen auch etwas für unsere Mitarbeiter tun.“ Die Kosten für den Sicherheitsdienst trägt die Klinik dabei selbst, eine Gegenfinanzierung gibt es nicht.