In den nächsten Jahren werden Arzneimittel mit einem Umsatzvolumen von fünf Milliarden US-Dollar ihren Patentschutz verlieren. Hersteller von Generika und Biosimilars stehen schon in den Startlöchern. Dann werden Ärzte eher den Rezeptblock zücken, lautet ihre Hoffnung.
Der Rubel rollt: Wie IMS Health berichtet, gaben gesetzliche Krankenkassen im ersten Halbjahr 17,6 Milliarden Euro für Medikamente aus. Das entspricht Mehrkosten von einer Milliarde Euro (plus 6,3 Prozent), gemessen am Vorjahreszeitraum. Die Analysten haben Zwangsabgaben von Herstellern und Apotheken berücksichtigt; Einsparungen aus Rabattverträgen und Patientenzuzahlungen blieben außen vor. Entsprechende Wachstumstendenzen bleiben im Rahmen einer vom GKV-Spitzenverband und von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) paraphierten Vereinbarung.
Hinter den Mehrausgaben stecken vor allem innovative Wirkstoffe als treibende Kraft. Wirtschaftsexperten nennen vor allem drei Arzneimittel. Mit 51 Prozent stehen Präparate zur Therapie viraler Effekte ohne HIV an erster Stelle. Hier gab es seit Anfang 2014 gleich mehrere hochpreisige Neueinführungen zur Behandlung von Hepatitis C, etwa Sofosbuvir, Simeprevir und Daclatasvir. Allein in diesem Bereich stehen zusätzliche Mittel von einer Milliarde Euro bereit. Für 2014 hatten der GKV-Spitzenverband und die KBV rückwirkend 700 Millionen Euro vereinbart. Weitere 14 Prozent gehen auf das Konto neuer Ophthalmologika zur Therapie der feuchten, altersbedingten Makuladegeneration. Ganz klar, der demographische Wandel fordert durch steigende Patientenzahlen seinen Tribut. Ärzte greifen auf Inhibitoren des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF) zurück. Wichtige Vertreter sind Aflibercept, Pegaptanib und Ranibizumab. Bevacizumab kommt im Off-Label-Einsatz mit hinzu. An dritter Stelle nennt IMS Health Faktor-Xa-Hemmer wie Apixaban oder Rivaroxaban, die bei verschiedenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Thromboseprophylaxe eingesetzt werden. Sie erklären elf Prozent des Ausgabenanstiegs. Zuvor galten Vitamin-K-Antagonisten als Standard. Ganz klar, innovative Originalpräparate sind nach wie vor eine tragende Säule der pharmazeutischen Industrie – und ein Kostenfaktor für GKVen.
Damit nicht genug: Ein Teil des Ausgabenzuwachses lässt sich auf steigende Packungszahlen (plus zwei Prozent) zurückführen. Bei patentfreien Präparaten verordneten Ärzte recht häufig N3-Gebinde – hier ist ein Zuwachs von fünf Prozent nachweisbar. Viele dieser Medikamente sind für Patienten mit chronischen Erkrankungen zur Dauertherapie bestimmt. Anders sieht es bei patentgeschützten Originalen aus. In diesem Segment wandern oft N1-Größen über den HV-Tisch – vor allem zu Beginn einer Behandlung. Altoriginale mit abgelaufenem Patentschutz entwickeln sich weiter rückläufig.
Für forschende Hersteller zeichnet sich deshalb eine klare Strategie ab. Sie versuchen, bis zum Ablauf des Patenschutzes möglichst hohe Gewinne einzufahren – und blicken mit gemischten Gefühlen nach vorne. Einer Untersuchung des IMS Institute for Healthcare Informatics zufolge werden in den nächsten fünf Jahren Pharmaka mit einem Umsatz von fünf Milliarden US-Dollar ihren Patentschutz verlieren. In den Staaten ist sogar von Präparaten mit einem Umsatzvolumen von 74,3 Milliarden US-Dollar die Rede. Gemessen am Zeitraum zwischen 2009 und 2014 erscheinen die Summen schon weniger dramatisch. Verglichen mit dieser Periode werden in den USA 6,0 Prozent weniger Umsatzwerte durch einen Patentablauf frei; in Deutschland sind es 27 Prozent, und in England 52 Prozent. „Dieser deutliche Rückgang der Patentabläufe ist eine Herausforderung für das deutsche Gesundheitssystem“, schreibt Pro Generika auf seiner Website. In vielen Fällen komme es nach Ende des Patentschutzes zu mehr Wettbewerb und damit zu sinkenden Kosten für das Gesundheitssystem.
Genau hier setzt die Kritik an. Manche Patienten erhalten erst nach Markteintritt von Generika und Biosimilars die bestmögliche Therapie. Moderne Arzneimittel erreichen nicht in dem Maße die Versorgungspraxis, wie es laut AMNOG eigentlich erforderlich wäre. Das fanden Wissenschaftler am IGES-Institut Ende 2014 heraus. Im Zuge der frühen Nutzenbewertung ermittelt der Gemeinsame Bundesausschuss, wie viele Menschen von innovativen Pharmaka theoretisch profitieren. Der tatsächliche Wert schwankt vergleichsweise stark – von wenigen Prozent bei Belatacept, Boceprevir, Telaprevir, Vandetanib oder Nabiximols bis zu rund 50 Prozent bei Tafamidis und Ivacaftor. Ärzte scheuen sich, hochpreisige Wirkstoffe zu verordnen. Pro Generika zufolge ließen sich bei Adalimumab, Trastuzumab und Bevacizumab innerhalb eines Jahrzehnts 4,7 Milliarden Euro durch Biosimilars einsparen. Im Schnitt sind Nachahmerpräparate 25 Prozent preisgünstiger als Originale. Trotz dieser gesundheitsökonomisch wünschenswerten Tendenz müssen alle Patienten den bestmöglichen Arzneistoff erhalten – auch wenn noch keine Biosimilars oder Generika zur Verfügung stehen.