Das Gehirn bildet seine Umwelt nicht kontinuierlich ab, sondern setzt diese aus vielen verschiedenen Einzelaufnahmen zusammen. Die Hypothese der zeitlich zusammengesetzten Wahrnehmung existiert schon länger. Nun wurde das Phänomen für Berührungsreize experimentell belegt.
Intuitiv geht der Mensch davon aus, dass er seine Umwelt fließend und ohne Unterbrechung wahrnimmt. Die Ergebnisse von Thomas J. Baumgarten und seinen Kollegen der Universität Düsseldorf deuten jedoch darauf hin, dass das Gehirn die Umwelt in aufeinanderfolgende Zeitfenster zerlegt und diese dann zu einem Ganzen zusammensetzt – ähnlich einer Videokamera, die einen Film aus 24 einzelnen Bildern pro Sekunde aufnimmt.
Das Team hat für seine Forschung bei 16 gesunden Versuchsteilnehmern die Gehirnströme gemessen, während diese einen oder zwei kurz aufeinanderfolgende Reize am Zeigefinger erhielten. Die Aufgabe der Probanden war es zu entscheiden, ob sie nur einen oder zwei Reize wahrnehmen konnten. Sichtbar gemacht wurden die Gehirnströme mit Hilfe der Magnetenzephalographie (MEG). Die Forscher der Universität Düsseldorf entdeckten, dass die Probanden die zwei Reize am Finger nur dann als voneinander getrennt wahrnahmen, wenn diese in zwei aufeinanderfolgende Hirnstromzyklen eines spezifischen Frequenzbandes (8-20 Hz, leichte Entspannung/entspannte Wachheit) fielen. Wenn beide Reize jedoch in den gleichen Zyklus trafen, nahmen die Probanden nur einen einzigen Reiz wahr. Daraus resultiert die Interpretation, dass das Gehirn unsere Umwelt in einzelnen Standbildern verarbeitet, welche – ähnlich eines Fotos – starr und ohne Bewegung sind. Die Dauer dieser Standbilder beträgt je einen Zyklus der Gehirnströme.
Die menschliche Wahrnehmung entsteht demnach durch die Aneinanderreihung neuronaler Zyklen, bzw. ihrer Standbilder – wie bei einer Kamera oder einem Daumenkino. Die Auswertungen der MEG-Daten zeigen, dass die Dauer eines Zyklus ca. 50 -100 Millisekunden lang ist. Da das Zusammensetzen der Standbilder bereits wenige 100 Millisekunden bevor der Proband einen Reiz wahrnimmt abgeschlossen ist, können die Forscher theoretisch sogar die Wahrnehmung der Probanden vorhersagen, bevor diese einen Reiz überhaupt spüren. Originalpublikation: Beta oscillations define discrete perceptual cycles in the somatosensory domain Thomas J. Baumgarten et al.; PNAS, doi:10.1073/pnas.1501438112; 2015