Seit Jahren suchen Forscher nach Möglichkeiten, kognitiven Defiziten im Alter vorzubeugen. Wunderpillen sind keine in Sicht. Zeitlich aufwändige Interventionen beim Lebensstil gehen aber in die richtige Richtung. Nun warten Apotheker auf Daten zum langfristigen Effekt.
Ein globales Problem: Wie Alzheimer's Disease International berichtet, leiden weltweit mehr als 46 Millionen Menschen an Demenzen. Bis 2050 erwarten Experten einen Anstieg auf 131,5 Millionen. An diesen Zahlen scheiden sich wissenschaftliche Geister. Carol Brayne von der University of Cambridge hat für Europa mehrere Kohortenstudien ausgewertet. Sie spricht von rückläufigen Patientenzahlen – aufgrund der Versorgung. Medizinische Risikofaktoren, etwa Typ-2-Diabetes, eine Hypertonie oder eine Hypercholesterinämie, ließen sich heute in vielen Fällen vermeiden, so Brayne weiter. Macht aber wirklich jede Pharmakotherapie Sinn?
Häufig fragen ältere Patienten ihren Apotheker, ob sie antihypertensive Medikamente nicht besser absetzen sollten. Von höheren Blutdruckwerten erhoffen sie sich eine bessere Versorgung ihrer grauen Zellen. Zu Unrecht, berichten Forscher der Universität von Leiden. Mit ihrer randomisierten DANTE-Studie (Discontinuation of Antihypertensive Treatment in Elderly People) wollten sie untersuchen, welchen Benefit Auslassversuche bringen. Ein Team unter Leitung von Justine E. F. Moonen hat 385 Probanden ab 75 Jahren mit arterieller Hypertonie und mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen (Mild Cognitive Impairment, MCI) ausfindig gemacht. Jeder zweite Teilnehmer schickte seine Blutdruck-Medikamente 16 Wochen lang in Urlaub. Anschließend führten Neurologen verschiedene Tests durch. Dabei ging es um das Kurzzeit- und das Langzeitgedächtnis, aber auch um die psychomotorische Geschwindigkeit und um exekutive Funktionen. Keine Untersuchung ergab Hinweise, dass sich kognitive Funktionen verbessert hätten. Als Kritikpunkt bleibt die relativ kurze Dauer. Hier müssten sich Langzeituntersuchungen anschließen, schreibt Michelle C. Odeen vom Oregon State University, Corvallis, in einem Kommentar.
Arzneimittel sind nur ein Aspekt; Senioren wünschen sich im HV oft Nahrungsergänzungsmittel mit protektiver Wirkung. Trotz jahrelanger Forschung gibt es bis heute keinen Durchbruch. Der Tragödie vorerst letzter Teil: Eigentlich wollten Forscher mit ihrer Age-Related Eye Disease Study 2 (AREDS2) herausfinden, ob Omega-3-Fettsäuren, Lutein, Zeaxanthin und weitere Nahrungsergänzungsmittel protektiv gegen altersbedingte Makuladegenerationen (AMD) wirken – was ihnen tatsächlich gelang. Bei einer späteren Auswertung fanden sie jedoch keine Belege, dass ihre Supplementation dem geistigen Verfall vorbeugt. Mit methodischer Kritik am Studiendesign ist es nicht getan. Um komplexe Erkrankungen wie altersbedingte Demenzen zu beeinflussen, muss an zahlreichen Stellschrauben gedreht werden.
Das ist vom Ansatz her möglich, wie die randomisiert-kontrollierte FINGER-Studie (Finnish Geriatric Intervention Study to Prevent Cognitice Impairment and Disability) zeigt. Forscher haben versucht, gleich mehrere Risikofaktoren anzugehen: Ernährung, Bewegung und kardiovaskuläre Parameter. Sie rekrutierten 1.260 ältere Menschen zwischen 60 und 77 Jahren, die alle ein erhöhtes Demenzrisiko hatten. Sie durften bei Kognitionstests bestenfalls durchschnittliche Werte erzielen. Das Studienteam informierte alle Personen, wie sie ihre individuellen Risiken minimieren können. Dazu gehörten soziale, kognitive und sportliche Aktivitäten sowie eine gesunde Ernährung. Für Personen der Interventionsgruppe gab es zusätzliche Module: eine ausführliche Ernährungsberatung, Muskelaufbau, Aerobic, kognitive Trainings und Untersuchungen. Sahen Mediziner Verbesserungsbedarf bei der Pharmakotherapie, schickten sie Teilnehmer zum Hausarzt. Nach zwei Jahren hatten sich die kognitiven Fähigkeiten in beiden Gruppen verbessert. Den Autoren zufolge fruchten schon Beratungsangebote mit geringem Zeiteinsatz. Gemessen an der neuropsychologischen Testbatterie (NTB) zeigten sich bei Patienten mit Intervention signifikant bessere Summenwerte, verglichen mit der Kontrollgruppe. Der Unterschied lag im NTB-Z-Score bei plus 0,20 versus plus 0,16. In absoluten Zahlen mag das sehr gering erscheinen. Präventionsmaßnahmen über längere Zeiträume könnten eine Demenz allerdings um Jahre nach hinten schieben, kommentieren die Autoren. Jetzt hoffen sie auf neue Daten aus dem Sieben-Jahres-Followup.
Bei der kürzlich veröffentlichten LIFE-Studie (Lifestyle Interventions and Independence for Elders) zeigte sich indirekt, dass vorbeugende Maßnahmen nur mit einem gewissen Aufwand möglich sind. Kaycee M. Sink von Wake Forest University School of Medicine, Winston-Salem, hatte insgesamt 1.635 Probanden im Alter von 70 bis 89 Jahren rekrutiert. Alle Teilnehmer bewegten sich zu wenig und liefen Gefahr, ihre Mobilität einzubüßen. Ein erhöhtes Demenzrisiko gab es – anders als bei FINGER – jedoch nicht. Senioren der Interventionsgruppe mussten körperliche Trainings über sich ergehen lassen mit dem Hinweis, zu Hause weiter zu üben. Das hat nicht wirklich funktioniert, wie Unterschiede zwischen Fragebögen und Messungen belegen. Nach zwei Jahren zeigten Tests auf Gedächtnisleistung, Exekutivfunktion und Reaktionsgeschwindigkeit keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen. Demenzen oder MCI traten ähnlich oft auf. Wer sieben oder acht Jahrzehnte lang ungesund gelebt hat, wird seine Sünden nicht durch wenige Stunden Sport wettmachen.