Kleine Moleküle mit großer Wirkung: Alkohol, Nikotin, Cannabis oder Kokain schaden ungeborenen Kindern. Untergrenzen gibt es nicht. Ärzten und Apothekern bleibt nur, Frauen schon möglichst vor einer geplanten Schwangerschaft Wege aus der Sucht zu zeigen.
Wenn Anziehen und Zähneputzen zum unüberwindlichen Hindernis werden: Bundesweit kommen pro Jahr 10.000 Kinder mit fetalen Alkoholspektrum-Störungen (FASD) auf die Welt. Bei mehr als 2.000 diagnostizieren Pädiater ein voll ausgeprägtes fetales Alkoholsyndrom (FAS). Kein Wunder: Verschiedenen Daten des Robert-Koch-Instituts zufolge konsumieren mehr als ein Viertel aller Schwangeren zumindest gelegentlich Alkohol.
Ethanol passiert die Blut-Plazenta-Schranke und führt – abhängig von der Dosis und der Schwangerschaftswoche – zu unterschiedlichen Schäden. Dazu gehören körperliche, aber auch kognitive und soziale Defizite. Im Mittelpunkt der Gehirnforschung stehen Folgen für Purkinje-Zellen im embryonalen Kleinhirn. Heute herrscht die gängige Meinung, dass keine Untergrenze für den Konsum existiert. Selbst geringe Mengen beeinträchtigen die kognitive Leistung von Babys. Vor zwei Jahren sorgten Langzeitstudien der britischen Epidemiologin Rachel Humphriss für Schlagzeilen. Sie wertete Daten von 6.915 Zehnjährigen aus. Hatten Mütter bis zu sieben Portionen alkoholischer Getränke pro Woche konsumiert, sprich je 0,1 Liter Wein oder 0,2 Liter Bier, fand Humphriss keine neurologischen Defizite. Bei Kollegen stößt ihr vergleichsweise einfacher Test auf Kritik – die Forscherin ließ Kinder auf einem Bein stehen und über Schwebebalken balancieren. Zu langfristigen Folgen brachte Rachel Humphriss auch nichts in Erfahrung. Deshalb bleibt die Null-Promille-Grenze als Empfehlung für Schwangere bestehen.
Weiter geht es mit der Stillzeit: Alkohol diffundiert vom Blut in die Muttermilch – es sind in etwa gleiche Konzentrationen zu erwarten. Bei Säuglingen kommt es zu kürzeren Schlafphasen mit leichterem Schlaf, berichtet das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in einer Übersichtsarbeit. „Darüber hinaus lassen sich aber auf der Basis der vorhandenen wissenschaftlichen Daten keine zuverlässigen Aussagen darüber treffen, wie sich mütterlicher Alkoholkonsum in der Stillzeit kurz- und langfristig auf die kindliche Gesundheit und Entwicklung auswirkt. Hinweise gibt es dennoch. Aktuellstes Beispiel: Mexikanische Forscher haben im Tierexperiment gezeigt, dass während der Entzugsphasen zwischen einzelnen Stillvorgängen vermehrt proinflammatorische Zytokine ausgeschüttet werden.
Vom Alkohol zum Nikotin: Rauchen Frauen während ihrer Schwangerschaft, tritt beim Kind das fetale Tabaksyndrom auf. Werdende Mütter riskieren mehr Totgeburten oder Frühgeburten. Britische Forscher vermuten aufgrund von 4-D-Ultraschalluntersuchungen, dass der blaue Dunst beim Ungeborenen zu Schäden am zentralen Nervensystem führt. Kinder haben ein niedrigeres Geburtsgewicht. Bei ihnen ist das Risiko, am frühen Kindstod zu versterben, erhöht. Wissenschaftler sehen einen Zusammenhang mit Verhaltensauffälligkeiten wie ADHS und mit frühkindlichem Asthma. Damit nicht genug: Mädchen, deren Mütter viel gequalmt haben, kommen früher in die Pubertät.
Mehrere Arbeitsgruppen haben sich über Jahre hinweg mit dem Hanfkonsum von Schwangeren befasst. Wayne Hall aus Herston, Australien, veröffentlichte im Jahr 2014 eine Metaanalyse. Entgegen älteren Studien sieht der Forscher zwar keine Gefahr von Missbildungen oder Entwicklungsstörungen beim ungeborenen Kind. Er weist aber auf das niedrigere Geburtsgewicht von Babys hin. Kinder von Müttern mit ausgeprägtem Cannabiskonsum hatten jedoch später Verhaltensauffälligkeiten, eine verminderte Gedächtnisleistung und Schwierigkeiten beim Erlernen der Sprache. Wayne hält Probleme in der Schule ebenfalls für möglich.
Opioide zeigen deutlich drastischere Effekte als Cannabis. Kokain gelangt durch die Plazenta in den fetalen Organismus. Aufgrund seiner gefäßverengenden Wirkung kann es bei Ungeborenen Organe schädigen. Vorgeburtliche Schlaganfälle wurden ebenfalls beschrieben. Sie erklären neurologische Defizite. Ein Zusammenhang mit frühzeitigen Plazentaablösungen und Frühgeburten gilt als wahrscheinlich. Kokain beeinflusst die fetale Entwicklung durch Effekte auf das monoaminerge System im Gehirn. In späteren Lebensphasen zeigen sich körperliche und geistige Defizite. Methamphetamin führt zu ähnlichen Defiziten, zeigt aber eine stärkere Wirkung – möglicherweise aufgrund seiner strukturellen Ähnlichkeit mit Neurotransmittern, vermuten Forscher. Methadon stellt keine Alternative dar. Unter der Substitution treten verschiedene neurologische Störungen auf, die sich durch Beikonsum noch verschlimmern.
Trotz aller Studien mit Opioiden oder Cannabis bleibt Alkohol während der Schwangerschaft die größte Herausforderung. Deshalb hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) für Health Professionals spezielle Pakete für die Beratung geschnürt. Ein Leitfaden unterstützt bei schwierigen Gesprächen. Wie lässt sich beispielsweise das heikle Thema erstmalig offen und ohne Stigmatisierung ansprechen? Immerhin haben Verantwortliche erkannt, Ärzte und Apotheker stärker einzubinden.