Die meisten Infektionen mit SARS-CoV-2 verlaufen harmlos, viele Infizierte merken gar nicht, dass sie infiziert sind. Doch es gibt auch schwere Verläufe. Berliner Forscher haben jetzt untersucht, welche Rolle das körpereigene Immunsystem hier spielt.
Die meisten Infektionen mit SARS-CoV-2 verlaufen harmlos: Viele Infizierte klagen über leichte bis schwere Erkältungssymptome oder merken gar nicht, dass sie infiziert sind. Andere Menschen erkranken dagegen so schwer an COVID-19, dass sie auf der Intensivstation versorgt werden müssen.
Schon bevor die ersten COVID-19 Patienten in der Charité versorgt wurden, hat daher Prof. Roland Eils, Gründungsdirektor des Digital Health Center des Berlin Institute of Health (BIH), zusammen mit Prof. Irina Lehmann, Leiterin der Arbeitsgruppe Molekulare Epidemiologie am BIH, eine Studie initiiert, um die molekularen und zellulären Ursachen von COVID-19 zu erforschen. „Wir haben vermutet, dass bei den unterschiedlichen Krankheitsverläufen das körpereigene Immunsystem eine Rolle spielt. Und das wollten wir gern genauer verstehen“, sagt Lehmann.
Eils und sein Team setzten dabei auf Einzelzellanalysen, um jede einzelne Zelle, die aus den Atemwegen von COVID-19 Patienten gewonnen wurde, untersuchen zu können. Denn jede Zelle reagiert anders auf die Infektion und liefert individuelle Informationen zum Krankheitsgeschehen, abzulesen an der individuellen Antwort Tausender Gene in jeder Zelle.
Die Patienten für diese Studie wurden an der Charité – Universitätsmedizin Berlin im Rahmen der PA-COVID-19 Studie rekrutiert. Insgesamt wurden Proben von 19 COVID-19 Patienten und von fünf gesunden Kontrollprobanden untersucht.
Acht der COVID-19 Patienten zeigten einen eher moderaten, elf einen kritischen Krankheitsverlauf. „Die Proben stammten aus dem Nasen-Rachenraum, von zwei Patienten zusätzlich aus den Bronchien. Von fünf Patienten konnten wir mehrmals Proben gewinnen, so dass wir die Möglichkeit hatten, den Verlauf der Erkrankung im selben Patienten zu verfolgen“, berichtet Prof. Leif-Erik Sander, der an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité die COVID-19-Patienten behandelte.
„Aus dem Probenmaterial haben wir im S3-Labor des Instituts für Virologie der Charité unter höchsten Sicherheitsbedingungen Zellen isoliert und insgesamt 160.528 Zellen sequenziert“, schildern Robert Lorenz Chua und Dr. Soeren Lukassen vom Digital Health Center des BIH die Mammutaufgabe, die es zu bewältigen galt. „In den Proben fanden wir neben Immunzellen vor allem Zellen aus der obersten Schicht der Atemwege, also verschiedene Epithelzellen. Aus diesen haben wir die RNA isoliert, die das Viruserbgut enthält, aber auch die Abschriften der aktiven Gene der menschlichen Zellen. Basierend auf diesen Daten und klinischen Informationen konnten wir den Ablauf der Infektion auf Einzelzellebene präzise nachvollziehen.“
SARS-CoV-2 gelangt in die Zellen, indem es sich an deren ACE2-Rezeptor heftet. „Wir haben gesehen, dass der ACE2-Rezeptor in den Epithelzellen der COVID-19-Patienten doppelt bis dreimal so stark exprimiert ist wie in den Epithelzellen der nicht-infizierten Kontroll-Probanden“, erklärt Dr. Christian Conrad. Die infizierten Zellen senden daraufhin einen „Hilferuf“ an das Immunsystem und locken Immunzellen an, die helfen, die Infektion zu bekämpfen, indem sie die infizierten Epithelzellen gezielt abtöten und das Virus neutralisieren.
Interessanterweise trägt ausgerechnet der Immunbotenstoff Interferon, der eigentlich eine zentrale Abwehrstrategie des Immunsystems gegen Virusinfektionen ist, im Fall von COVID-19 dazu bei, dass die Epithelzellen mehr ACE2 bilden und damit verwundbarer für eine Virusinfektion werden“, berichtet Lehmann. Die Immunologin fügt hinzu: „Im Fall von COVID-19 hilft das Immunsystem so dem Virus, weitere Zellen zu infizieren und verstärkt somit die Erkrankung.“ Außerdem beobachteten die Wissenschaftler, dass insbesondere bei schwer erkrankten Patienten die Immunzellen mit einer überschießenden Entzündung reagieren.
„Die Einzelzell-Analysen haben sehr deutlich gezeigt, dass das Virus eine unheilvolle Allianz mit dem Immunsystem des Patienten eingeht“, erklärt Eils. „Speziell bei schwer erkrankten Patienten haben wir beobachtet, dass das überreagierende Immunsystem die Zerstörung des Lungengewebes vorantreibt. Das könnte erklären, warum diese Patienten stärker von der Infektion betroffen sind als Patienten, bei denen das Immunsystem angemessen reagiert.“
Sander ergänzt: „Diese Ergebnisse legen nahe, unsere Behandlungen bei COVID-19 Patienten nicht nur gegen das Virus selbst zu richten, sondern auch Therapien in Betracht zu ziehen, die das Immunsystem in seine Schranken weisen, wie dies z. B. jetzt mit Dexamethason geschieht. Möglicherweise sogar bereits zu Beginn der Erkrankung, um ein Überschießen des Immunsystems zu verhindern.“
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Berlin Institute of Health.
Bildquelle: Rob Laughter, Unsplash