Chinesische Wissenschaftler haben in Schweinen eine neue Variante eines Grippevirus gefunden. Ihrer Ansicht nach hat dieses Virus das Potenzial, auf den Menschen überzuspringen. Steht uns die nächste Pandemie bevor?
Das bislang unbekannte Virus namens G4 EA H1N1 gehört zur Gruppe der Influenzaviren. Die Forscher hatten es im Zuge eines Viren-Screenings in Schweinebetrieben entdeckt. Dazu werteten sie knapp 30.000 nasale Abstriche der Tiere aus verschiedenen chinesischen Provinzen von 2011 bis 2018 aus. Laut der Experten herrscht die neue Variante seit 2016 in den untersuchten Schweinen vor.
Sogar jeder zehnte von 338 untersuchten Mitarbeitern der Betriebe wies bereits Antikörper gegen das neue Grippevirus auf. Das lässt vermuten, dass sich Menschen grundsätzlich mit dem Virus infizieren können. Anschließende Experimente mit Frettchen zeigten zudem, dass G4 hochinfektiös ist und sich über die Luft ausbreiten kann.
Schweine gelten als wichtige Überträger von Influenzaviren, weil sich in ihnen sowohl Influenzaviren aus Vögeln als auch Menschen vermehren können. Dabei tritt häufig das Phänomen des sogenannten Reassortments statt, also der Vermischung bzw. die Neukombination genetischen Materials zwischen verschiedenen Viruslinien eines Genus.
Auch G4 ist so entstanden. Die Forscher haben entdeckt, dass das Virus eine einzigartige Mischung aus drei Abstammungslinien ist. Eine davon ähnelt den in europäischen und asiatischen Vögeln vorkommenden H1N1-Stämmen, der die Pandemie von 2009 verursachte, sowie einem nordamerikanischen H1N1-Virus, das Gene von Vogel-, Menschen- und Schweinegrippeviren besitzt.
Zwar springen Influenzaviren oft von Schweinen auf den Menschen über, doch anschließende Mensch-zu-Mensch-Übertragungen sind selten – aber möglich, wie die Pandemie von 2009 zeigt. Eine Übertragung zwischen Menschen wäre im Fall der G4-Variante besorgniserregend, weil der Kern ein Vogelgrippe-Virus ist. Dagegen haben Menschen keine Immunität.
„Aus den präsentierten Daten geht hervor, dass es sich um ein Schweinegrippevirus handelt, das im Begriff ist, beim Menschen aufzutreten“, sagt Edward Holmes, Evolutionsbiologe der Universität Sydney, gegenüber Science. „Es liegt auf der Hand, dass diese Situation sehr genau beobachtet werden muss.“
Eine unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung sieht etwa Carl Bergstrom, Biologe an der Universität Washington, aber nicht. In einem Tweet schreibt er, dass man nach fünfjähriger Expositionszeit noch keine Beweise dafür gefunden habe, dass sich G4 unter Menschen ausbreite. Auch Angela Rassmussen, Virologin an der Columbia University, hält weitere Beobachtung des Virus für gerechtfertigt, warnt aber gleichzeitig vor Panik: „Was wir nicht tun sollten, ist auszurasten und davon auszugehen, dass uns eine Pandemie unmittelbar bevorsteht.“
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