Egal ob Schamlippenverkleinerung, Klitorisvorhautreduktion oder Scheidenstraffung: Intim-OPs sind im Trend. Immer mehr Frauen wünschen sich einen Intimbereich gemäß Schönheitsideal. Operations-Standards sind bislang Fehlanzeige. Eine neue Leitlinie will das ändern.
Vaginalverengungen, Hymenrekonstruktionen und Korrekturen der Schamlippen zählen nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) zu den häufigsten plastischen Operationen im weiblichen Intimbereich. Das Problem dabei: Es gibt weder eine einheitliche Bezeichnung für die jeweiligen Eingriffe, noch hat man bisher Verfahrenstandards für die Durchführung der verschiedenen Intimoperationen festgelegt. Sorge bereitet den Experten der betreffenden Fachgesellschaften vor allem der bislang dürftige wissenschaftliche Kenntnisstand auf diesem Gebiet. Anbieter solcher Leistungen seien hauptsächlich auf ihre persönlichen Erfahrungen angewiesen, so die Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC). Aus diesem Grund hat die Fachgesellschaft bereits im Mai 2013 ein Leitlinienvorhaben angemeldet. Die Leitlinie zur Intimchirurgie der Frau soll im Dezember 2015 fertiggestellt sein.
Das Interesse an Intim-Operationen scheint insbesondere bei Frauen zu steigen: Allein im Jahr 2011 führten Chirurgen laut einer Mitgliederbefragung der DGPRÄC 5.440 Schamlippenkorrekturen in Deutschland durch. Mit 150 registrierten Penisverlängerungen im gleichen Jahr scheint die Nachfrage bei Männern hingegen deutlich geringer auszufallen. Da es sich in der Regel um Privatleistungen handelt, gibt es zwar insgesamt nur wenige Zahlen über die Häufigkeit solcher Operationen. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) vermutet jedoch eine Zunahme intimchirugischer Eingriffe. Dabei stellt sich die Frage, welche Motive vor allem Frauen dazu antreiben. Zu den nachvollziehbaren Gründen zählen zweifellos körperliche Beschwerden. Denn zu große – gelegentlich auch zu kleine – Schamlippen können den Alltag betroffener Frauen einschränken. "Beim Sport, etwa beim Reiten oder Fahrradfahren, scheuern die Schamlippen auf. Es kann zu Schwellungen, minimalen Blutungen und auch zu Entzündungen kommen", erläutert der Gynäkologe Dr. Marwan Nuwayhid, Gründer der Gesellschaft für ästhetische und rekonstruktive Intimchirurgie Deutschland (GAERID). Neben einer genetischen Veranlagung spielen Geburten, hormonelle Veränderungen und auch das Lebensalter als Ursache der Veränderungen des weiblichen Genitals eine Rolle.
Manche Frauen haben zwar keinerlei körperliche Einschränkungen, die Form ihrer Schamlippen lastet ihnen mitunter jedoch so auf der Seele, dass sie chirurgische Maßnahmen für notwendig halten. Und auch manche Ärzte sehen neben körperlichen Beschwerden eine Operation als gerechtfertigt, wenn die Psyche der Patientin zu sehr unter ihrer nicht der Norm entsprechenden Scham leidet. "Es geht nicht darum, eine Designer-Vagina zu schaffen, sondern den betroffenen Frauen zu helfen. Die leiden richtig darunter", verteidigt Dr. Nuwayhid intimchirurgische Eingriffe. Daten aus Übersee scheinen zu belegen, dass intimchirurgische Eingriffe tatsächlich in der Mehrzahl der Fälle von Frauen in Anspruch genommen werden, die mit ihrem Aussehen unzufrieden sind. In einer multizentrischen Retrospektivstudie gaben 53 % der Frauen an, sich aus kosmetischen Gründen operieren zu lassen, 33 % erhofften sich eine Steigerung des Selbstwertgefühls. Die bedenkliche Menge von 24 % der Patientinnen legte sich eigenen Aussagen zufolge auch deshalb unters Messer, um das Sexualerleben des Partners zu verbessern. Eine andere Retrospektive förderte zu Tage, welche Selbstwahrnehmung hinter dem verzerrten Selbstbild steckt: 94 % waren der Meinung, dass ihre kleinen Labien die großen überragten, 46 % empfanden sie als zu groß.
Doch wie kommt es zu der übersteigerten Idealvorstellung der von Natur aus eher individuell geformten Köperpartie? Vermutlich prägen dabei mehrere Faktoren das genitale Schönheitsideal: Zum einen entfernen sich immer mehr Frauen die Schambehaarung. „Der Intimbereich, der ja sonst ein verborgener ist, gerät so stärker in den Blickpunkt“, meint Prof. Dr. med. Jutta Liebau, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC). Zum anderen beeinflussen auch mediale Einflüsse, einschließlich pornografischer Darstellungen, die Wunschvorstellung der Frauen. Doch das Bild vom idealen weiblichen Genital wird nicht nur durch Gesellschaft und Medien geprägt, auch die Ärzteschaft beteiligt sich daran. Wie die ideale Vulva aussieht, beschreibt die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie etwa so: „Die großen Labien sind gleichmäßig geformt, straff und glatt und bedecken die kleinen Schamlippen vollständig.“ Die ehemalige Generalsekretärin des Weltärztinnenbunds (MWIA), Dr. Waltraud Diekhaus, kritisiert diese Idealisierung des weiblichen Intimbereichs: „Den Frauen wird eingeredet, alle Schamlippen müssten gleich und möglichst jugendlich aussehen“. Die häufig genannte OP-Indikation "Labienhypertrophie" relativiere sich zudem, da es bisher keine einheitliche Definition gebe, welche die Form und Maße des weiblichen Genitals festlegt.
Eine zusätzliche Gefahr sieht die MWIA zudem darin, dass man Frauen die Vorstellung vermittelt, ein intimchirurgischer Eingriff könne sich positiv auf ihr Sexualleben und ihr Wohlbefinden auswirken. Gleichzeitig seien den Frauen die Risiken des Eingriffs, etwa Wundheilungsstörungen, Infektionen, Blutungen oder Sensibilitätsstörungen, oft nicht klar. Zwar bewerten Fachgesellschaften wie die DGÄPC operative Eingriffe der weiblichen Genitalregion als sehr risikoarm; die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) gibt jedoch Folgendes zu bedenken: „Gemeinsam ist bei allen diesen kosmetischen Operationen am weiblichen Genitale, dass Risikoeinschätzungen und Komplikationsraten dieser Operationen fehlen, nicht bekannt sind oder verharmlost werden.“ Aus amerikanischen Analysen geht hervor, dass die Einschätzung der DGÄPC nicht zu gewagt sein könnte, wenn auch voreilig. In einem Review wurden die Ergebnisse der häufigsten Intimoperationen in den USA ausgewertet, darunter Vagino- und Perineoplastien, Labienplastiken, Reduktionen der Klitorisvorhaut sowie die fragwürdigen G-Punkt-Injektionen. Die Komplikationsraten lagen dabei meist mit weniger als 5 % insgesamt niedrig, die Zufriedenheitsraten der Patientinnen hingegen sehr hoch. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass Komplikationen gleichzeitig keine Seltenheit und in Anbetracht des kosmetischen Charakters der meisten Operationen umso schwerwiegender sind. Daher bemängeln sie ebenfalls fehlende Standards und Langzeitdaten für eine wahrhaftig evidenzbasierte Einschätzung.
Die für dieses Jahr geplante Leitlinie soll nun sowohl Ärzten als auch Patientinnen eine neutrale und von finanziellen Interessen freie Hilfestellung zur Entscheidung von Intim-OPs geben. Ob und unter welchen Umständen intimchirurgische Eingriffe gerechtfertigt sind, bleibt unter Ärzten sicher auch nach Erscheinen der Leitlinie eine Kontroverse. Die Uneinigkeit beginnt einer multinationalen Erhebung zufolge schon bei der Zuständigkeit der Profession: Je ein Drittel der befragten Besucher des Kongresses der European Society for Sexual Medicine (ESSM) siedelten genitale Operationen der Frau in der Gynäkologie, plastischen Chirurgie oder Urologie an. Auch hinsichtlich der Auswirkungen auf das Sexualleben teilten sich die Befragten in drei gleich große Lager: Ein Drittel maß kosmetischen Intimoperationen eine Verbesserung der sexuellen Funktion bei, ein Drittel war sich nicht sicher und das verbleibende Drittel schloss solcherlei Effekte aus. Zudem variierten die Einschätzungen zur Notwendigkeit einer psychischen Begutachtung des Wunschs nach einem Intimeingriff: Zwar sprachen sich drei Viertel für die Konsultation eines Experten aus, zwei Viertel zogen jedoch den Psychologen vor und ein Viertel den Psychiater. Das übrige Viertel sah erst gar keine Veranlassung für eine präoperative Evaluation der Beweggründe.