Die Folgen der Corona-Pandemie sind überall spürbar: Angestellte Ärzte mussten in Kurzarbeit, bei vielen Praxisinhabern brach der Umsatz ein. Wie Betroffene die Situation erlebt haben.
Während sich in Deutschland die Corona-Lage langsam zu beruhigen scheint, ist es an der Zeit, zu klären, was man hätte besser machen könnte. Niedergelassene Ärzte – als Inhaber oder als Angestellte – versorgen einen Großteil aller Patienten. Das müssen sie auch in Krisenzeiten tun können. Solche Aspekte sollten in zukünftigen Pandemie-Plänen nicht vergessen werden. Ein Blick zurück lohnt also.
Wie Praxisinhaber die COVID-19-Pandemie erlebt haben, erzählt Dr. Dirk Hochlenert, ein Diabetologe aus Köln: „In meiner Schwerpunktpraxis geht viel über Pauschalen, sodass man am Quartalsende nicht mehr viel abrechnen kann“, erzählt der Arzt. Denn über die Kassenpauschale hinaus erhält er für viele Patienten ohnehin keine weitere Vergütung – egal, wie oft Patienten in seiner Praxis sind. „Die letzten zwei Wochen im März habe ich deshalb ökonomisch kaum bemerkt, obwohl schon deutlich weniger Patienten da waren.“ Ab April – zu Beginn des zweiten Quartals – zeigte sich dieser Effekt dann ganz deutlich.
Für einen Gesamtüberblick verglich Hochlenert jetzt die Werte aus 2020 mit denen aus drei Vorjahren, wobei er mit Arbeitstagen rechnete, um Artefakte zu vermeiden. Seine Erkenntnis: „Die Patientenzahlen sind insgesamt betrachtet doch fast normal geblieben, es wurden aber nicht die gleiche Menge an Leistungen wie im Vergleichszeitraum abgerufen.“
Nach sieben Arbeitstagen lag der Umsatz bei 49 % bei 75 % der Fälle, die der Diabetologe sonst zu dieser Zeit in seiner Praxis betreuen würde. Nach elf Tagen waren es immer noch 49 % des Umsatzes bei 72 % der Fälle. „Dann kam der Umschwung und Patienten haben sich wieder annähernd normal verhalten“, so Hochlenert weiter. Das heißt: Wer Probleme hatte, ging auch wieder zum Arzt und blieb nicht daheim.
Nach 16 Arbeitstagen kam er auf 87 % der Fälle und 66 % des Umsatzes. Nach 20 Arbeitstagen waren es 94 % der Fälle bei 76 % des Umsatzes. Sobald 25 Arbeitstage verstrichen waren, erreichte die Praxis 100 % der Fälle und 82 % des Umsatzes – dass nicht alle sonst üblichen Leistungen aus dem Vergleichzeitraum abgerufen wurden, macht sich hier bemerkbar.
Wie genau es zum Quartalsende sein wird, müsse man noch sehen. Da die Kostenquote bei etwa zwei Dritteln liege, sei der Gewinneinbruch dreimal höher als der Umsatzeinbruch.
Hinzu kommt: Hochlenert hat viele Personenstunden in Erklärvideos investiert und Strategien entwickelt, wie man Diabetespatienten mit COVID-19 versorgen könnte. Diese Leistungen werden aber nicht vergütet.
Auf finanzielle Hilfe braucht Hochlenert nicht zu hoffen. Dazu schreibt die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO): „Das für die Zahlungen relevante Honorar einer Praxis muss in Bezug auf die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung um mehr als zehn Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal gesunken und dieser Rückgang auf eine pandemiebedingt geringere Zahl an Behandlungsfällen zurückzuführen sein.“ Das zweite Kriterium erfüllt der Diabetologe eben nicht.
Ein Zahnarzt berichtet DocCheck von anderen Erfahrungen. Er habe „Soforthilfe über 15.000 Euro beantragt und 2 Wochen später anstandslos erhalten“. Kurzarbeit sei für zwei Mitarbeiterinnen zwei Monate lang durchgezogen worden; auch hier habe er die Erstattung für einen Monat schon bekommen. Die Umsätze im April seinen „drastisch weniger, aber jetzt wieder auf normalem Niveau“. Sein Fazit: „Wenn ich die Soforthilfe behalten darf, habe ich keinerlei Schäden zu verzeichnen.“
Zu der Frage, wie es anderen Praxen im GKV-Bereich wirtschaftlich geht, lässt sich wenig sagen. In Hochlenerts Kammerbezirk Nordrhein sollen es laut Umfragen der KV 25 % weniger Fallzahlen und Leistungen sein, vereinzelt sogar minus 50 %.
Abrechnungsdaten aus dem PKV-Bereich liefern deutlich bessere Einblicke. Eine Stichprobe dazu basiert auf Abrechnungen von 3.571 niedergelassenen Ärzten im gesamten Bundesgebiet, die im April bearbeitet worden sind. Darunter waren 1.056 Allgemeinmediziner und mehr als 2.500 Fachärzte. Durchschnittlich waren es 32,62 % weniger als im Vergleichsmonat.
„Unsere Daten zeigen, dass die HNO-Ärzte mit fast 44 Prozent Honorareinbußen die Auswirkungen der Pandemie am stärksten zu spüren bekommen“, so Stefan Tilgner, Geschäftsführer des PVS-Verbands. „Aber auch die Hausärzte liegen mit knapp 37 % deutlich über dem Durchschnitt, das gilt auch für die Kinder- und Jugendärzte, die Honorarrückgänge von 36 % zu verzeichnen haben.“
Aufgrund des Zeitpunkts der Datenerhebung bleibt offen, inwieweit sich die Lage normalisiert hat.
Hochlenert hat seine Praxis während der Corona-Krise weder geschlossen noch Kurzarbeit für Angestellte beantragt. Weil die gute Blutzuckereinstellung der einzige beeinflussbare Risikofaktor für den Ausgang der Infektion war, hätte er seine Patienten gerade in dieser Zeit nicht unversorgt lassen können. Andere Kollegen, wie der genante Zahnarzt, entschlossen sich jedoch zu diesem Schritt.
Es herrschte reichlich Chaos, denn die Bundesagentur für Arbeit hat Anträge auf Kurzarbeitergeld für Arztpraxen pauschal abgelehnt. Am 8. Mai kam schließlich eine Weisung des Bundesarbeitsministeriums, dass künftig Einzelfallprüfungen durchzuführen seien. „Diese Klarstellung ist wichtig für unsere niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen und deren Teams, den Medizinischen Fachangestellten“, erklärt Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Doch wie viele Kollegen waren betroffen? Das beantworten Umfragen des Marburger Bundes. Zwischen 29. April und 10 Mai wurden 8.707 angestellte Ärzte interviewt. Sie kamen aus Bereichen der Versorgung, nämlich aus kommunalen Krankenhäusern (33,28 %), Unikliniken (14,91 %), kirchlichen Krankenhäusern (14,64 %), Krankenhäusern in privater Trägerschaft (15,32 %), Rehakliniken (3,82 %), dem ambulanten Sektor (9,34 %) und von sonstigen Arbeitgebern (8,70 %). Zwei Drittel arbeiteten in Vollzeit.
Ganz unterschiedliche Erlebnisse hatten Angestellte hinsichtlich der Arbeitsbelastung seit März. 17,73 % berichteten von einer höheren Belastung, 25,12 % gaben an, das Arbeitsaufkommen sei gleichgeblieben und 57,16 % berichten von weniger Arbeit im Job.
Kurzarbeit gab es bei 9,91 % aller Befragten, und zwar meist bis zu 50 % (bei 37,85 %), seltener bis zu 25 % (bei 25,64 %) oder gar bis 100 % (bei 16,80 %). Zu denken gibt: 74,88 % der Betroffenen sahen keinen triftigen Grund dafür. Druck, eine Vereinbarung zur Kurzarbeit zu unterzeichnen, wurde nur auf 4,1 % der Befragten ausgeübt. 50,03 % bauten freiwillig Überstunden ab und 29,98 % mussten Urlaub nehmen.
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