Alle beschäftigt derzeit die Frage, ob es in Deutschland eine zweite Corona-Welle geben wird. Es gibt die Entspannten auf der einen und die Besorgten auf der anderen Seite. Wo stehst du?
War alles bisher nur die Ruhe vor dem Sturm? Im Tagesbericht vom 26. Juni nennt das Robert Koch-Institut (RKI) gleich mehrere Stadt- bzw. Landkreise mit hoher Sieben-Tages-Inzidenz: Gütersloh und das benachbarte Warendorf sowie Hamm wegen des Ausbruchs beim Schlachtbetrieb Tönnies. Hinzu kommen Ausbruchsgeschehen in einem Wohnkomplex in Göttingen.
Auch diverse Alten- und Pflegeheime sind wieder betroffen. Wenig überraschend stieg damit kurzerhand der Vier-Tage-R-Wert auf 2,02 (Datenstand 23.06.2020). Inzwischen ist er wieder gesunken und wird auf 0,59 (95 % Prädiktionsintervall: 0,48 - 0,73) geschätzt, mit Datenstand vom 25.06.2020. Daran sieht man, wie schnell sich der R-Wert verändert. Das sorgt zusätzlich für Verunsicherung.
Jetzt stellt sich die Frage, ob eine neue Krankheitswelle droht – wie derzeit südkoreanische und israelische Behörden berichten.
Doch Prof. Lothar Wieler gibt Entwarnung. In einer online übertragenen Pressekonferenz sagte der RKI-Chef, er rechne mit keinen gravierenden Änderungen des Infektionsgeschehens in nächster Zeit. Man werde das Virus kontinuierlich im Land haben, lokale Ausbrüche werde es wohl weiter geben. Man müsse wachsam sein und Abstands- und Hygieneregeln einhalten.
„Das wird die neue Normalität sein für die nächsten Wochen und Monate“, sagt Wieler sehr pragmatisch. Er sei jedoch „sehr optimistisch“, dass eine zweite Welle verhindert werden könne. Der gestiegene R-Wert werde als Ausdruck einiger weniger lokaler Ausbrüche interpretiert, bedeute aber keine zweite Welle.
Gesundheitsämter vor Ort versuchen, mit gezielten Maßnahmen die Situation zu kontrollieren. Das geht manchmal schief, Stichwort Tönnies. Einigen Arbeitern ist es offenbar gelungen, aus der Quarantäne zu flüchten und nach Bulgarien zu reisen. Dort wurden sie zum Teil erneut in Quarantäne gesteckt. Genaue Zahlen kennt niemand.
Die RKI-Einschätzung teilen nicht alle Experten. „Ich bin nicht optimistisch, dass wir in einem Monat noch so eine friedliche Situation haben wie jetzt, was die Epidemietätigkeit angeht“, sagt Prof. Christian Drosten von der Charité Berlin in seinem bekannten NDR-Podcast. „In zwei Monaten werden wir ein Problem haben, wenn wir nicht jetzt wieder alle Alarmsensoren anschalten.“
Der Virologe argumentiert, SARS-CoV-2 könne sich ausgehend von den Hot Spots eventuell unbemerkt ausbreiten oder gar ausgebreitet haben. Gelinge es nicht, dies jetzt zu kontrollieren, drohe eine ähnliche Situation wie in den Südstaaten der USA. Denn dort habe man Restriktionen zu früh gelockert.
Auch Dr. Berit Lange vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung hat die aktuelle Lage bewertet. Ihrer Einschätzung nach könne es zu einer weiteren heftigen Welle kommen, falls es mehr gleichzeitige Infektionsausbrüche an denselben oder unterschiedlichen Orten gebe.
„Wie viele Menschen wie schwer krank werden, wenn es zu einem erneuten Anstieg von Neuinfektionen kommt, ist aber hauptsächlich – wie im März – davon abhängig, wie gut Maßnahmen zur Eindämmung des Virus gelingen und wie rechtzeitig diese durchgeführt werden“, so Lange.
Ob in nächster Zeit eine weitere Erkrankungswelle droht, hängt noch von einer weiteren unklaren Frage ab: Wie stabil sind SARS-CoV-2-Viren? Es gibt Hinweise, dass sich das neuartige Coronavirus seinem Wirt anpasst. Mutationen in den Bindungsstellen verändern seine Infektiosität. Aber selbst die bereits zirkulierenden Varianten unterscheiden sich – in vitro, wohlgemerkt – um das bis zu 270-Fache.
Auch genetische Aspekte sind damit von Bedeutung. Bei einer Online-Pressekonferenz des Science Media Center Deutschland bezweifelten Experten jedoch, dass sich die Pathogenität kurzfristig verändern könnte.
Wir wissen, dass wir fast nichts wissen. Ob die zweite Corna-Welle kommen wird oder nicht, bleibt nach diesen Ausführungen unklar. Eine Münze zu werfen, brächte sicher den gleichen Erkenntnisgewinn.
Wir können aber selbst viel gegen die weitere Ausbreitung tun: Die Nachverfolgung von Kontaktpersonen, Quarantäne und ein lokal begrenzter Lockdown bringen viel. Das haben wir schon einmal gesehen. Außerdem sollten sich Krankenhäuser besser vorbereiten. Vielleicht macht es Sinn, spezielle Corona Zentren einzurichten, aber auch Häuser zu definieren, die erst einmal keine COVID-19-Patienten aufnehmen, aber sonstige Eingriffe durchführen.
Bildquelle: Tim Mossholder, unsplash