Zum Süßen verarbeiteter Lebensmittel wird in den USA häufig ein Fruktose-Glukose-Sirup aus Mais verwendet. Er steht im Verdacht, den Anstieg von Stoffwechselerkrankungen zu verursachen. Seit dem Wegfall der Zuckerquote befürchten Experten ähnliche Entwicklungen in Europa.
Der Einfachzucker Fruktose (Fruchtzucker) ist derzeit ein großes Thema in Medienberichten, insbesondere bei Verbrauchersendungen. Der Grund ist das seit letztem Herbst beschlossene Ende der Zuckerquote innerhalb der EU. Vom in Deutschland verkauften Zucker mussten 85 Prozent aus der Produktion innerhalb der EU bezogen werden. Durch das Wegfallen dieser Quote wird sich der Zuckermarkt verändern. Die neue Situation ermöglicht es den Bauern, unbegrenzt Zucker (Saccharose) und Isoglukose herzustellen. Bei der Saccharose, die hierzulande aus der Zuckerrübe gewonnen wird, ist das Verhältnis von Glukose und Fruktose stets 1:1. Der Sirup Isoglukose wird aus Stärke erzeugt. Wie bei der Saccharose handelt es sich um ein Gemisch aus Glukose (Traubenzucker) und Fruktose, doch kann hier der Fruktosegehalt herstellungstechnisch variiert werden. Zahlreiche Untersuchungen der letzten Jahre geben Hinweise darauf, dass der übermäßige Verzehr von Fruktose zur Entwicklung von metabolischen Krankheiten bis hin zum metabolischen Syndrom beiträgt. Adipositas, Dyslipidämie, Insulinresistenz, Diabetes mellitus und Hypertonie werden als Folgen beschrieben. In den USA wird Isoglukose seit langem zum Süßen von der Lebensmittel- und Getränkeindustrie genutzt. Äußerst kontrovers ist dort die Debatte darüber, ob Fruktose beziehungsweise Isoglukose die Ursache für den starken Anstieg stoffwechselerkrankter Menschen sein könnte. Ohne Zuckerquote mahnen Ernährungsexperten nun, dass auch in Europa die Isoglukose dem Haushaltszucker den Rang ablaufen und zu einem gesundheitlichen Problem werden könnte.
Generell hatte Fruchtzucker lange das „Saubermann-Image“ unter den Einfachzuckern, denn schließlich kommt die Süße doch aus Obst und Früchten. Die positive Wahrnehmung innerhalb der Bevölkerung hat sicher auch die Sonderstellung der Fruktose für Diabetiker bedingt. Fruktose lässt mit einem glykämischen Index (GI) unter 20 im Gegensatz zur Glukose und Saccharose den Blutzucker nur gering ansteigen. Denn Fruktose wird im menschlichen Körper insulinunabhängig verstoffwechselt. Als natürliche Zuckerart ist Fruktose nicht zulassungspflichtig. Im Vergleich zur Saccharose hat Fruktose zudem eine deutlich höhere Süßkraft.
Wegen dieser Eigenschaften wurde Fruktose für Menschen mit Diabetes mellitus jahrzehntelang als gesunde Alternative zum Süßen empfohlen und in den allermeisten industriell hergestellten Produkten für Diabetiker eingesetzt. Das Bundesinstitut für Risikobewertung rät jedoch bereits 2009, von dieser Sonderstellung der Fruktose Abstand zu nehmen. Sie untersuchten die bis dato vorhandenen Studien zum Konsum von mit Fruktose gesüßten Lebensmitteln und Getränken und kamen zu dem Ergebnis, „dass Fruktose keine Vorteile hat und der Einsatz nicht zu empfehlen ist. Entsprechend hält das Institut auch die Auslobung von Lebensmitteln als ‚für Diabetiker geeignet‘ für verzichtbar.“ Aufgrund der damals neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse wurde die Verordnung über diätetische Lebensmittel 2010 geändert. Seitdem müssen Lebensmittel für Diabetiker nicht mehr speziell gekennzeichnet sein und bedürfen keiner besonderen Rezeptur. Die Angabe der Broteinheit (BE) wurde damit abgeschafft. Führende Fachverbände wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) und der Verband für Diätik und Ernährung e. V. bekräftigten die Änderungen. Diabetespatienten hätten durch die alte Verordnung oftmals ungerechtfertigt teure Produkte konsumiert. Viel wichtiger für Erkrankte seien individuelle Ernährungspläne unter Einbezug der Medikation sowie eine ausgewogene Vollwertkost. Dass das Dogma des „gesunden Zuckers“ mittlerweile nicht mehr haltbar ist, bestätigt auch der Diabetologe Matthias Riedl in der NDR Verbrauchersendung MARKT: „Fruchtzucker oder Fruktose hat vom Wortsinn her ein umheimlich gesundes Image. Aber genau das Gegenteil ist der Fall“. Riedl bezeichnet Fruchtzucker als „Drama für unsere Gesundheit“. Vor allen Dingen in Light-Produkten wird Fruktose gerne genutzt, wie der Beitrag außerdem zeigt. „Durch den Wegfall der Zuckerquote wird bewirkt, dass vermutlich mehr Fruktose als Süßungsmittel verwendet wird als bisher. Diese Fruktose in so hohen Mengen hat gesundheitliche Risiken, die wir in Zukunft genau beobachten müssen“, erklärt Ernährungsmediziner Prof. Stefan Bischoff von der Universität Hohenheim seine Bedenken zu dem prohpezeiten Anstieg. Dass der Isoglukose-Marktanteil Ausmaße wie in den USA annimmt, stellt Dr. Yelto Zimmer vom Thünen-Institut zumindest in Frage. Trotz der günstigen Produktionskosten wären technisch bedingt eher 30 Prozent realistisch. Inwiefern die Rübenzucker-Erzeuger ihr Produkt beispielsweise durch Preissenkungen weiterhin auf dem Markt verteidigen werden, bleibt zudem abzuwarten.
Die momentan am häufigsten benutzten Isoglukose-Varianten enthalten entweder 42 Prozent (für Lebensmittel) oder 55 Prozent (für Softdrinks) Fruktose. Hier gehen Experten von einer gleichwertigen ernährungsphysiologischen Wirkung wie beim normalen Haushaltszucker aus, da das Verhältnis Glukose/Fruktose annähernd 1:1 ist. Das Max Rubner-Institut erklärt dazu: „Die Auswirkung der Isoglukose auf die menschliche Gesundheit ist vergleichbar mit der Saccharose und anderen fruktosehaltigen Zuckern wie Honig oder Invertzucker. Bei zu hoher Zufuhr, d.h. deutlich mehr als 10 Prozent der Gesamtenergie, insbesondere über zuckergesüßte Getränke, besteht ein Zusammenhang mit Übergewicht und Typ 2-Diabetes, welcher vermutlich über eine positive Energiebilanz vermittelt wird.“ Es gibt aber auch eine Isoglukose-Variante mit 90 Prozent (HFCS-90) Fruktose. Durch den extrem hohen Fruktosegehalt ist diese Form vermutlich am bedenklichsten. Momentan wird sie noch selten, wenn dann eher für Light-Produkte, eingesetzt. Doch wie kann der Verbraucher überhaupt wissen, wieviel Fruktose im fertigen Produkt vorhanden ist? Momentan ist es mit der gesetzlich vorgeschriebenen Nährwerttabelle nicht genau herauszufinden. Dort wird Fruktose mit allen anderen Zuckern zusammengefasst angegeben, denn: „Diese „Zuckerangabe“ umfasst alle Ein- und Zweifachzucker im Lebensmittel, egal ob diese zugesetzt oder von Natur aus in den Zutaten enthalten sind.“ Ob ein Hersteller die 90-prozentige Isoglukosevariante in seinem Produkt verwendet hat, kann man letztendlich nur durch direktes Nachfragen herausfinden.
Grundsätzlich schadet es nicht, wenn man sich mit den Inhaltsstoffen verarbeiteter Lebensmittel oder Getränke auseinandersetzt. Ein Blick auf die Zutatenliste genügt zumindest, um zu sehen, welcher und wieviel Gesamtzucker in einem Produkt enthalten ist. Wenn beispielsweise „Fruktose“ unter den Zutaten aufgelistet ist, weiß man, dass reine Fruktose zum Süßen genutzt wurde. Die WHO empfiehlt, dass der Verzehr von zugesetzten Mono- und Disacchariden nicht mehr als 50 Gramm täglich betragen sollte. Besser wäre noch eine Reduktion auf 25 Gramm täglich. Dies würde erheblich dazu beitragen, das Risiko für Übergewicht, Fettleibigkeit und Karies zu verringern. Auf natürlich vorhandene Zucker in frischem Obst, Gemüse und Milch bezieht sich die Empfehlung der WHO nicht. Es gebe bisher keine Belege dafür, dass solche Zucker einen negativen Effekt haben. Je nach Sorte enthält Obst natürlicherweise Fruktose, Glukose und Saccharose.
Spitzenreiter sind Apfel und Birne, die doppelt soviel Fruktose wie Glukose enthalten. Wegen der starken Süßkraft der Fruktose werden diese beiden Sorten bei der Fruchtsaftherstellung bevorzugt als Basissaft eingesetzt. Bei Fruchtsäften oder Konzentraten wird generell zur Mäßigung geraten, weil sich hier Zuckeranteile aus mehreren Früchten aufsummieren. Ein einziges Glas Apfelsaft besteht beispielsweise aus sechs Äpfeln und enthält circa 25 Gramm Zucker. Fertige Smoothies bestehen ebenfalls zum Großteil aus Saft und enthalten daher große Mengen an natürlichen Zuckern. Ähnlich verhält es sich mit fertigen Obstbreien (Quetschies) für Kleinkinder. „Deshalb sollten Sie Obst nicht trinken, sondern essen und dabei auch die Menge beachten“, erklärt Diplom-Oekotrophologe Nicolai Worm. Der Professor an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement ist der Meinung, dass es sonst durch die hohen Mengen an Fruchtzucker zu Schäden kommen kann. Ab 50 Gramm täglich könne die Leber schon überfordert sein. Übrigens enthält der momentan so populäre Agavendicksaft hauptsächlich Fruktose und sogar mehr Kalorien als Haushaltszucker. Reissirup wäre eine Alternative ganz ohne Fruktose. Solange sich die verzehrte Fruktosemenge innerhalb der täglich empfohlenen Referenzmenge der WHO orientiert, besteht kein Grund zur Sorge. Vor allem nicht, wenn der Fruchtzucker auf natürlichem Wege über frisches Obst konsumiert wird. Denn so erhält der Körper nicht nur Zucker, sondern auch alle anderen wertvollen Fruchtbestandteile wie sättigende Ballaststoffe, sekundäre Pflanzenstoffe, Vitamine und Mineralien.