Um öffentliche Apotheken auch in nächster Zeit gut zu positionieren, sind in vielen Bereichen schmerzhafte Neuerungen erforderlich. Wie das funktionieren kann, zeigen Kollegen aus der Schweiz. In Deutschland fehlt bislang der Mut, neue Wege zu gehen.
Unser Gesundheitssystem steht vor großen Herausforderungen: mehr Patienten, eine höhere Lebenserwartung und teure Innovationen. Kollegen haben darauf reagiert und schon vor einem Jahr ihr Perspektivpapier „Apotheke 2030“ verabschiedet. „Apotheker wollen sich als die Experten für Arzneimittel auf ihr heilberufliches Profil konzentrieren – bei aller Anerkenntnis der ökonomischen Erfordernisse des Apothekenbetriebs“, schreiben ABDA-Chef Friedemann Schmidt und ABDA-Vize Mathias Arnold im Vorwort. Als zentrales Element bewerten sie ein systematisches, individuelles Medikationsmanagement, neue Versorgungsstrukturen und die Qualifikation. Während kaum ein Tag vergeht, an dem nicht über kleinste Details von ARMIN gesprochen wird, geraten die letztgenannten Punkte in Vergessenheit.
Das beginnt schon bei der Zusammenarbeit mit Ärzten. Mediziner diagnostizieren Krankheiten und entscheiden, welche Therapie erforderlich ist – theoretisch. Schon heute klagen dünn besiedelte Gegenden über fehlende Praxen. Wer in Finnland an einer Bagatellerkrankung leidet, wird in „Walk-in-Kliniken“ keinen Arzt zu Gesicht bekommen. Hier arbeiten medizinisch ausgebildete Fachkräfte, die weitgehend MTA entsprechen, nach genau festgelegten Algorithmen. Konsultationen per Video gehören ebenfalls zum Angebot. Grund genug für Apotheker, darüber nachzudenken, ob altehrwürdige Kompetenzen noch Sinn machen. Bei einer Generalversammlung der Employed Community Pharmacists in Europe (EPhEU) schlugen Delegierte als Konzept vor, Mediziner sollten sich auf Diagnosen konzentrieren, während Pharmazeuten für Therapien zuständig wären. Das funktioniert mancherorts schon heute.
Bestes Beispiel ist die Schweiz – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Der Gesetzgeber hat sich Ende 2014 dafür ausgesprochen, Pharmazeuten zu berechtigen, bestimmte Rx-Präparate ohne Verordnung abzugeben. Details müssen noch per Verordnung geregelt werden. Wer vor dem Praxisbesuch eine Apotheke aufsucht, soll außerdem geringere Prämien an seine Krankenkasse zahlen. Ziel ist, Pharmazeuten eine stärkere Lotsenfunktion im Gesundheitssystem zu übertragen – gegen Honorar, versteht sich. Friedemann Schmidt bezeichnete dies kürzlich als „bestechende Idee“. Voraussetzung sei allerdings, dass ein Apotheker auch ohne Arzt vor Ort überleben könne. Schweizer Pharmazeuten haben auch hier Patentrezepte in petto. Sie setzen auf netCare, um Ärzte per Videokonferenz direkt in ihre Offizin zu holen. Damit nicht genug: Seit September dieses Jahres dürfen Apotheker aus dem Kanton Zürich ihre Kunden gegen Influenza und gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) impfen. Hepatitis-Folgeimpfungen sind möglich, falls ein Arzt die erste Spritze gesetzt hat. Neue Aufgaben setzen immer gewisse Qualifikationen voraus. Wer beispielsweise impfen will, hat Pflichtfortbildungen zu besuchen.
Deutschlands Ärzte übernehmen beim Thema Fortbildung eine Vorbildfunktion, wenn auch nicht ganz freiwillig. Seit Einführung des Gesetzes zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GMG) müssen sie 250 Fortbildungspunkte nachweisen – innerhalb von fünf Jahren. Apotheker sträuben sich nach wie vor. Schon im Jahr 2008 wollten Kollegen in Westfalen-Lippe mit einer Qualitätsoffensive lebenslanges Lernen zur Pflicht machen. Kurze Zeit später verabschiedeten sich Spitzenvertreter vom Konzept. Ihnen war es allem Vernehmen nach nicht gelungen, eine tragfähige Mehrheit zu bekommen. Mit den Arbeiten am Perspektivpapier „Apotheke 2030“ begannen entsprechende Diskussionen erneut. Davon ist nur ein unverfänglicher Satz geblieben: „Die Apotheker sowie das nicht approbierte pharmazeutische Personal und alle Mitarbeiter halten ihr Fachwissen stets auf aktuellem Stand.“ In Berufsordnungen auf Kammerebene finden sich ähnliche Passagen. Ein freiwilliges Fortbildungszertifikat ist momentan das Höchste der Gefühle. Sollte es zu einer stärkerern Diversifizierung apothekerlicher Leistungen kommen, wären Pflichtseminare – beispielsweise zum Thema Medikationsmanagement – denkbar. Das kann noch dauern.
Ähnlich mau ist die Lage im Ausbildungsbereich. Zu einer grundlegenden Reform des Pharmaziestudiums kann sich niemand wirklich aufraffen. Ende April hat die Bundesapothekerkammer wenigstens einen „Leitfaden für die praktische Ausbildung von Pharmazeuten im Praktikum in der Apotheke“ verabschiedet. Allerdings handelt es sich – wie im Dokument mehrfach betont wird – um Empfehlungen. Baden-Württemberg legt die Messlatte weitaus höher. Inhabern steht frei, sich als „akademische Ausbildungsapotheke“ zu akkreditieren. Nehmen sie die Herausforderung an, sind sie verpflichtet, Pharmazeuten im Praktikum zentrale Inhalte zu vermitteln. Bei der PTA-Ausbildung besteht ähnlich großer Reformbedarf. Etliche Fachschulen stehen am Rande des Ruins. In Westfalen-Lippe helfen nur noch Geldspritzen. Gleichzeitig ringen Interessenvertreter, Lehrkräfte und Politiker um eine Novellierung der Ausbildung. Die entscheidende Frage bleibt unausgesprochen: Macht eine Ausbildung, wie sie vor nahezu 50 Jahren konzipiert worden ist, heute noch Sinn? Oder sollte besser ein völlig neues Fachhochschulstudium entwickelt werden? PTA beraten rund 70 Prozent aller Kunden, zumindest im Erstkontakt. Ihr Verantwortungsbereich reicht stark an apothekerliche Tätigkeiten heran. Trotzdem hat der Beruf bei Jugendlichen deutlich an Attraktivität verloren – das mag an fehlenden Perspektiven und niedrigen Gehältern liegen. Gelingt es öffentlichen Apotheken, neue Bereiche zu erschließen, ist es auch an höchste Zeit, die Berufsbilder anzupassen.