Zu den neurologischen Komplikationen von COVID-19 haben Wissenschaftler ein Klassifikationsschema veröffentlicht. Die durch SARS-CoV-2 verursachten Schäden werden in drei Stadien eingeteilt.
Die vorgeschlagene Klassifikation basiert auf der Analyse der möglichen pathophysiologischen Mechanismen, die an der neurologischen Manifestation von SARS-CoV-2 beteiligt sind. Mit dieser Stadieneinteilung soll eine Grundlage geschaffen werden, auf der zukünftige Hypothesen und Untersuchungen zu SARS-CoV-2 und seinen Auswirkungen auf das Nervensystem aufbauen könnten.
Die Klassifikation, die die Wissenschaftler als „NeuroCovid Staging“ bezeichnen, umfasst insgesamt drei Stadien.
Die neurologischen Auswirkungen von COVID-19 sind auf die Epithelzellen von Mund und Nase beschränkt. Die Patienten haben möglicherweise Geruchs- oder Geschmacksbeeinträchtigungen, erholen sich jedoch ohne jegliche Intervention.
SARS-CoV-2 aktiviert eine robuste Immunantwort mit hohen Zytokin-Spiegeln. Dieser Zytokinsturm verursacht Entzündungen der Blutgefäße und eine Hyperkoagulabilität. Es bilden sich Blutgerinnsel, die kleinere oder größere Schlaganfälle verursachen können. Die neurologischen Symptome können Müdigkeit, Hemiplegie, Aphasie, Ataxie sowie Sensibilitätsstörungen umfassen.
Der Zytokinsturm in den Blutgefäßen führt zu einer Schädigung der Blut-Hirn-Schranke und somit zu einer Infiltration von Entzündungsfaktoren, Blutbestandteilen und Viruspartikeln ins Gehirn. Dort wird der neuronale Zelltod induziert. Die Patienten entwickeln eine Enzephalitis; es kann zu Krampfanfällen, Verwirrtheit, Delir, Koma oder auch zum Tod des betroffenen Patienten kommen.
Neben den akuten neurologischen Symptomen einer SARS-CoV-2-Infektion kann es den Autoren zufolge auch zu neurologischen Langzeitkomplikationen kommen. Neuronen weisen eine signifikante Menge an ACE2 auf, so dass SARS-CoV-2 in sie eindringen und dort die zellulären Mechanismen, wie die Energieproduktion oder die Proteinfaltung, stören kann.
Durch diese Fehlfaltung und Aggregation der fehlgefalteten Proteine könnte es, so die Wissenschaftler, theoretisch Jahre nach einer überstandenen SARS-CoV-2 Infektion zu einer Hirndegeneration kommen. Deshalb sei eine konsequente Nachsorge bei Personen, die an COVID-19 betroffen waren, notwendig.
Auch könnte das Anlegen genauer Register von COVID-19-Patienten mit neurologischen Defiziten zukünftig dabei helfen, plausible Zusammenhänge der Infektion mit alterungsassoziierten und neurodegenerativen Erkrankungen, wie dem Parkinson-Syndrom, herzustellen. So wurde bereits in Zusammenhang mit SARS-CoV vermutet, dass dieses Virus zu einem erhöhten Risiko für die Entwicklung des Parkinson-Syndroms und der multiplen Sklerose führt.
Des Weiteren merken die Autoren an, dass der Zytokinsturm zu einer Reihe kleiner, punktierter Schlaganfälle führen kann, ohne dass es unmittelbar zu auffälligen neurologischen Symptomen komme. Allerdings könnten diese Läsionen zu Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen oder zu einer langsameren kognitiven Verarbeitungsgeschwindigkeit führen.
Für die betroffenen Patienten sei es deshalb hilfreich, sechs bis acht Monate nach ihrer Entlassung aus der Klinik einen Neurologen aufzusuchen oder sich kognitiven Tests zu unterziehen, wenn sie das Gefühl haben, kognitive Einschränkungen oder Gedächtnisprobleme zu haben. Für Patienten, bei denen diese Tests niedrige Werte in bestimmten Bereichen ergeben, könnte, so die Wissenschaftler, eine "Hirn-Rehabilitation" in Betracht gezogen werden. Dies würde das Risiko verringern, später im Leben altersbedingte kognitive Einschränkungen zu erleiden.
Außerdem verweisen die Autoren darauf, dass bestimmte Personen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 haben. Zu diesen zählen neben Patienten mit Diabetes mellitus, Adipositas und Hypertonie auch Personen, die bereits an neurologischen Erkrankungen, wie beispielsweise Alzheimer, leiden. Allerdings müsse bei neu aufgetretenen neurologischen Symptomen auch immer in Betracht gezogen werden, dass hier andere Ursachen vorliegen können.
Abschließend merken die Wissenschaftler an, dass das nun veröffentliche Review lediglich den aktuellen Forschungsstand wiedergebe. Es gebe noch viel zu tun, um ein umfassenderes Verständnis für die zugrundeliegende Neurobiologie von SARS-CoV-2 zu erlangen. Dazu gehörten besser charakterisierte COVID-19-Kohorten mit Langzeit-Follow-Ups. Zudem könnten die Bestimmung von Biomarkern, quantitative Elektroenzephalogramme, kognitive Tests sowie ein multimodales Neuroimaging Einblicke in mögliche langfristige neurologische Folgen, wie Depressionen, Gedächtnisverlust, leichte kognitive Beeinträchtigungen oder die Begünstigung für die Entwicklung von Alzheimer, geben.
Studienquelle: Fotuhi M et al. / Journal of Alzheimer's Disease
Bildquelle: Georgia de Lotz/Unsplash