In den Medien wird Dexamethason als „lebensrettendes Medikament“ gegen COVID-19 gefeiert. Alles, was ihr über die Studie wissen müsst.
Als „major breakthrough“ im Kampf gegen SARS-CoV-2 wird Dexamethason in einem BBC-Artikel bezeichnet. „Wäre das Medikament schon zu Beginn der Pandemie im Vereinigten Königreich zum Einsatz gekommen, hätten bis zu 5.000 Leben gerettet werden können“, wird darin geschlussfolgert.
Das Steroid-Medikament wurde neben Lopinavir-Ritonavir, Hydroxychloroquin, Azithromycin, Tocilizumab und Rekonvaleszentenserum im Rahmen des 8-teiligen Trials RECOVERY (Randomised Evaluation of COVid-19 thERapY) untersucht. Jetzt liegt ein Pressebericht mit ersten Ergebnissen vor. Es handelt sich um ein synthetisches, halogeniertes Glukokortikoid, das entzündungshemmend und immunsuppressiv wirkt. Dexamethason eignet sich zur Behandlung von allergischen und entzündlichen Prozessen. Eingesetzt wird es topisch und systemisch, unter anderem in der Neurologie bei Hirnödem, aber auch bei Atemwegserkrankungen (Asthma).
Insgesamt 2.104 Patienten erhielten randomisiert täglich ein Mal 6 mg Dexamethason (entweder oral oder intravenös injiziert) über einen Zeitraum von 10 Tagen hinweg. Sie wurden verglichen mit randomisierten 4.321 Patienten; sie erhielten die übliche Versorgung.
Bei der Patientengruppe, die wie üblich behandelt wurde, kamen die Forscher zu folgendem vorläufigen Ergebnis: Die 28-Tage-Sterblichkeit war am höchsten bei Menschen, die auf eine Beatmung angewiesen waren (41 %), gefolgt von jenen, die lediglich Sauerstoff benötigten (25 %) und am niedrigsten bei Patienten, bei denen keinerlei Beatmungsmaßnahmen notwendig war (13 %).
Durch die Gabe von Dexamethason konnte die Sterblichkeit bei mechanisch beatmeten Patienten um ein Drittel gesenkt werden (Rate Ratio 0,65 [95% Konfidenzintervall 0,48 zu 0,88]; p=0,0003). Bei Patienten, die eine nicht-invasive Beatmung benötigten, war es ein Fünftel (0,80 [0.67 zu 0,96]; p=0,0021). Keinen Mehrwert konnte man in der letzten Patientengruppe ohne unterstützende Maßnahmen feststellen (1,22 [0,86 zu 1,75]; p=0,14).
„Ausgehend von diesen Ergebnissen würde bei der Behandlung von 8 beatmeten Patienten oder etwa 25 Sauerstoff-Patienten je ein Todesfall verhindert werden“, heißt es im Bericht. „Die sogeannnte number needed to treat ist mit acht relativ niedrig angesiedelt“, sagt Prof. Maria Vehreschild in einem Bericht des Science Media Center (SMC). Die leitende Infektiologin am Universitätsklinikum der Goethe-Universität Frankfurt und einige weitere Kollegen haben bereits einen Blick auf die Vorabergebnisse geworfen.
„Aus biologischer Sicht ist dieser Effekt nicht völlig überraschend, da insbesondere die schwer erkrankten Patienten unter einer überschießenden Immunreaktion leiden. Kortison ist ein klassischer Behandlungsansatz, um das Immunsystem zu unterdrücken. Überraschend ist aber die Stärke des nachgewiesenen Effektes“, so Vehreschild.
Das Fazit der Studienautoren ist klar: „Dexamethason ist das erste Medikament, das die Überlebenschancen erwiesenermaßen verbessert hat. […] Der Überlebensvorteil ist deutlich und hoch bei jenen Patienten, die dermaßen schwer erkrankt sind, dass sie eine Sauerstoffbehandlung benötigen. Deshalb sollte Dexamethason nun zur Standardtherapie solcher Patienten werden. Dexamethason ist nicht teuer, überall verfügbar und kann sofort angewendet werden, um weltweit Leben zu retten“, wird etwa Peter Horby, einer der Studienleiter und Epidemiologe an der University of Oxford, im Bericht zitiert. Auch der britische Gesundheitsminister Matt Hancock teilte in London mit, das Medikament solle jetzt auf die Liste der Standardverfahren gegen COVID-19 gesetzt werden.
„Aus den mir einsehbaren Daten geht hervor, dass insbesondere beatmete Patienten von der Therapie profitieren. Patienten, die Sauerstoff zum Beispiel über eine Maske oder Nasenbrille erhalten, profitieren ebenfalls, aber nicht in gleicher Weise. […]. Wichtig wäre es in diesem Kontext, die Nebenwirkungen des Dexamethasons noch weiter aus den Daten herauszuarbeiten“, sagt Vehreschild.
Nicht nur über die Nebenwirkungen machen Experten sich Gedanken. „Spannend wird zu beobachten sein, ob andere Interventionen gegen ein überschießendes Immunsystem, wie der Einsatz von teuren Interleukin-1- oder Interleukin-6-Rezeptor-Blockern, vergleichbare Effekte haben“, wird zum Beispiel Prof. Clemens Wendtner, Chefarzt für Infektiologie von der München Klinik Schwabing, im SMC-Bericht zitiert.
Im Weiteren müsse geprüft werden, „inwieweit der Mehrwert von Steroiden hinsichtlich der Mortalität mit schweren Infektionen anderer Art (sogenannte Superinfektionen) erkauft werden musste.“ Studiendetails stehen derzeit noch aus, dennoch sei „zu vermuten, dass durch einen frühzeitigen Einsatz von Steroiden keine direkten Effekte auf die Viruslast zu erzielen“ seien. Man könne auch keine prophylaktische Anwendung von Steroiden bei ambulanten symptomarmen Patienten ableiten, schließlich wurden im Rahmen der Studie ausschließlich Patienten mit schweren Verläufen behandelt.
An der Behandlung von COVID-19-Patienten mit dem Medikament Remdisivir ändert sich durch die neuen Erkenntnisse nichts. „Ich sehe hier keinerlei Konflikte, da der Wirkmechanismus der Medikamente sich nicht überlappt. Während Remdesivir direkt auf das Virus wirkt, wirkt Dexamethason auf unser Immunsystem“, so Vehreschild. Denkbar sei auch eine Kombination, wie Prof. Bernd Salzberger, leitender Infektiologe am Universitätsklinikum Regensburg, in besagtem Bericht anmerkt: „Dexamethason beziehungsweise andere immunmodulierende Substanzen und Remdesivir sind möglicherweise sogar eine sinnvolle Kombination – Remdesivir bekämpft das Virus, Dexamethason die überschießende Entzündung. Solche Kombinationen werden gerade auch in anderen Studien untersucht.“
Wendtner zieht folgendes Fazit für das Behandlungsszenario von COVID-19-Patienten: „Möglichst frühzeitiger Einsatz von Virustatika wie Remdesivir bei nicht künstlich beatmeten Patienten zur Viruslastreduktion und Gabe von Steroiden bei beatmungspflichtigen COVID-19-Patienten zur Kontrolle einer schweren Lungenerkrankung. Angesichts des insgesamt nur kleinen, wenn auch signifikanten Herabsetzens der Sterblichkeitsrate durch Steroide bleibt die beste Medizin die Verhinderung der COVID-19-Erkrankung durch einen effizienten Impfstoff.“
Bei RECOVERY handelt es sich um ein Projekt der University of Oxford, das viele Unterstützer hat, unter anderem das National Institute for Health Research (NIHr), das NIHR Oxford Biomedical Research Centre und die Bill and Melinda Gates Foundation.
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