Auf der Grundlage von Aufnahmen aus der Kryo-Elektronenmikroskopie konnte die Molekülstruktur von Aß(1-42)-Fibrillen rekonstruiert werden. Diese besonders schädliche Variante des Beta-Amyloids spielt auch bei neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer eine Schlüsselrolle.
Wissenschaftler der Universität Ulm haben die molekulare Architektur von Beta-Amyloid-Fibrillen aufgedeckt. Diese fadenförmigen Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn sind ein charakteristisches Merkmal der Alzheimer-Krankheit. „Man geht heute davon aus, dass die Bildung solcher Amyloid-Fibrillen über mehrere Zwischenstufen einen entscheidenden Beitrag zur Krankheitsentstehung leistet“, erklärt Professor Marcus Fändrich. Zusammen mit seinem Postdoc Dr. Matthias Schmidt hat er auf atomarer Ebene die Molekülstruktur von Aß(1-42)-Fibrillen identifiziert.
Zum Einsatz kam dabei die Kryo-Elektronenmikroskopie. Dieses Verfahren sorgt mit Temperaturen niedriger als minus 160° Celsius dafür, dass die tiefgekühlten bioaktiven Moleküle in ihrem natürlichen Umfeld untersucht werden können und nicht erst aufwändig kristallisiert werden müssen. „Am Rechner haben wir die mikroskopischen Aufnahmen mit Hilfe entsprechender Rekonstruktionssoftware in dreidimensionale Molekülmodelle umgewandelt, um die atomare Architektur der Peptid-Moleküle sichtbar zu machen“, so Schmidt. Der Hintergrund: Die gewonnenen Strukturinformationen sollen dabei helfen, die Fibrillenbildung zu erklären. „Denn die Molekülstruktur beeinflusst natürlich den Ablauf von Aggregationsprozessen. Eine Schlüsselrolle spielen dabei nicht nur unterschiedliche Ladungsverteilungen oder polar wirkende atomare Gruppen, sondern nicht zuletzt das Wechselspiel von hydrophilen und hydrophoben Molekülabschnitten der beteiligten Aminosäuren“, erläutert Fändrich. Die Wissenschaftler fanden dabei heraus, dass das Rückgrat der Fibrille aus einer Art Peptid-Reißverschluss besteht, bei dem jeweils zwei Amyloid-Peptide in Form eines S-förmigen Dimers ineinander greifen. „Interessanterweise fanden wir im Inneren dieser Kernstruktur die hydrophoben Molekülabschnitte und außen die hydrophilen Gruppen, was chemisch gesehen Sinn macht“, so Fändrich. Die Fibrille besteht somit – vereinfacht gesagt – aus unzähligen solcher vertikal aufeinander geschichteten Dimere. Rekonstruktion eines Aß(1-42)-Peptiddimers, unten mit überlagertem Modell in beta-Faltblattstruktur in der Kernregion. Über eine Art Peptidreißverschluss sind die Moleküle miteinander verbunden Abbildung: Matthias Schmidt; © PNAS
Mit den neuen Erkenntnissen lassen sich nicht nur bekannte physikalische und chemische Eigenschaften dieser Moleküle erklären, sondern auch biologische Phänomene besser verstehen. So konnte das Forscherteam zeigen, warum Aggregationshemmer besonders gut wirken, wenn sie die hydrophoben Abschnitte der C-Termini im Kernbereich der Peptide angreifen. Sie lieferten zudem Evidenzen dafür, dass die Aß(1-42) Peptidvariante deshalb pathogener ist als das kürzere Peptid Aß(1-40). Bei der längeren Variante ist die Interaktionsfläche der gepaarten Moleküle vergrößert und damit auch die Aggregationsneigung höher. Fändrich und Kollegen konnten zudem eine mögliche Erklärung für bestimmte familiäre Veranlagungen für Alzheimer liefern. „Innerhalb der von uns gefundenen Struktur konnten wir bestimmte Aminosäuren identifizieren, die die Fibrillenstruktur offensichtlich stören. Sind diese aber im Menschen durch genetische Mutation entfernt, bricht die Krankheit wesentlich früher aus“, berichten die Forscher. Originalpublikation: Peptide dimer structure in an Aβ(1–42) fibril visualized with cryo-EM Matthias Schmidt et al.; PNAS, doi:10.1073/pnas.150345511; 2015