Die Genominstabilität Chromothripsis tritt nicht in Einzelfällen auf, sondern betrifft fast die Hälfte aller Krebspatienten. Das haben Forscher des Deutschen Krebsforschungszentrums jetzt nachgewiesen.
Chromothripsis ist eine Form der Genominstabilität, bei der ein Chromosom oder einige wenige Chromosomen in einem vermutlich einmaligen katastrophalen Ereignis regelrecht explodieren. Die Chromothripsis tritt nach bisheriger Meinung zu Beginn der Tumorentwicklung auf und spielt eine wichtige Rolle bei der Krebsentstehung. Galt das Phänomen bislang als eher selten, so zeigen Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) nun, dass Chromothripsis bei nahezu der Hälfte aller Tumoren nachweisbar ist.
Das erst seit etwa zehn Jahren bekannte Schadensbild der Chromothripsis unterscheidet sich von bisher bekannten Erbgutdefekten in Tumorzellen: Abschnitte von Chromosomen sind an unzähligen Stellen zerbrochen und regelwidrig wieder zusammengebaut, so dass ganze Erbgutabschnitte fehlen, andere dagegen vervielfältigt oder in falscher Orientierung eingebaut sind.
Bislang wurde angenommen, dass dieses Erbgut-Desaster nur bei 2–3 % aller Krebsfälle auftritt. Die Wissenschaftler des DKFZ untersuchten jetzt 634 Tumorproben von 28 Krebsarten, die alle wichtigen Krebserkrankungen bei Erwachsenen abdecken. Dabei fanden sie die Spuren der Chromosomen-Explosion bei 49 % aller untersuchten Patienten.
Besonders häufig betroffen waren Tumoren von Patienten, die bereits von ihren Eltern eine Mutation geerbt haben, die für die Krebsentstehung disponiert. Außerdem trat bei den verschiedenen Krebsarten Chromothripsis in bestimmten Chromosomenregionen häufiger auf, als es der reinen Zufallsverteilung entspricht. Daraus schließen die Forscher, dass in diesen Fällen die Chromosomen-Explosion den Zellen einen Überlebensvorteil verschafft.
Darüber hinaus erhielten die Wissenschaftler wesentliche Einblicke in die Evolution der Tumoren: Bislang hatten sie vermutet, dass Chromothripsis in der Regel ganz am Anfang des Tumorgeschehens auftritt oder die Krebsentstehung sogar initiiert. Doch die aktuellen Ergebnisse zeichnen ein anderes Bild: Bei Patienten, von denen im Verlauf der Krebserkrankung mehrfach Tumorproben gewonnen wurden, zeigte sich, dass teilweise nur einzelne Subklone von dem chromosomalen Desaster befallen waren. In wieder anderen Fällen fanden die Forscher Chromothripsis erst beim Tumorrückfall, nicht aber im Primärtumor.
Hohe klinische Relevanz hat die Beobachtung, dass es nach der Chromosomen-Explosion häufig zu Fusionen von Chromosomenstücken kommt, die die Tumorentwicklung vorantreiben. Dies kann beispielsweise daran liegen, dass ein wachstumstreibendes Gen durch die Fusion unter den Einfluss eines starken Aktivators gerät. „Es gibt inzwischen bereits eine Reihe von Fachpublikationen, die zeigen, dass man in solchen Fällen manchmal mit zielgerichteten Medikamenten das Tumorwachstum aufhalten kann”, erklärt Studienleiterin Aurélie Ernst.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Deutschen Krebsforschungszentrums.Bildquelle: ActionVance, Unsplash