Ebola hat jene aufgerüttelt, die glaubten, hochpathogene, aber seltene Tropenkrankheiten seien keine Bedrohung für Länder weitab bisheriger Ausbrüche. Wie schützt sich Europa vor Angriffen durch lebensbedrohliche Mikroben aus dem Hinterhalt entfernter Regionen?
Zu der unbegründeten Furcht vor Überfremdung durch Asylbewerber und Flüchtlinge sowie den finanziellen Folgen, die auf Deutschlands „Ureinwohner“ zukommen, kommt auch jene – mitunter begründete Angst – vor unliebsamen Reisenden: Viren, Bakterien und andere Keime, die mit längst besiegt geglaubten Krankheiten überraschen könnten. Ebola im nordwestlichen Afrika scheint größtenteils überstanden. Immer wieder haben Experten betont, dass es unwahrscheinlich sei, dass diese Seuche sich auch in Europa ausbreiten könnte. Aber gilt das auch für andere vielleicht noch unbekannte Erkrankungen?
Vielfach nehmen Gesundheitspolitiker Krankheiten nicht ernst, die in der Vergangenheit nur vergleichsweise wenige Probleme verursacht hatten. Ebola dümpelte jahrzehntelang mit einigen kleineren Ausbrüchen alle paar Jahre dahin. Die ersten Anzeichen der letzten, plötzlich großen Epidemie meldeten Beobachter im Dezember 2013. Vier Monate später machte man Ebola als den Urheber der beobachteten Symptome fest. Obwohl die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ schon sehr früh Alarm schlug und vor den Folgen eines unkontrollierten Laufenlassens der Seuche warnte, lief die internationale Hilfe erst im September 2014 an. „Ebola geriet außer Kontrolle. Nicht aus ungenügenden finanziellen Mitteln, Frühwarnsystemen, Koordination oder Medizintechnologie, sondern aus Mangel an politischer Führungskraft, an Willen und Verantwortlichkeit“, so Joanne Liu, Präsidentin der internationalen Ärzteorganisation. Schon 2005 unterzeichneten 196 Nationen einen Beschluss zur Reform ihrer Gesundheitsgesetze, als Antwort auf immer bedrohlichere unvorhersehbare neue Infektionen wie etwa H5N1 oder SARS. Bis jetzt hat erst ein Drittel jener Staaten solche Alarmpläne umgesetzt. Eine Unterstützung von Industrieländern für wenig entwickelte Staaten fehlt völlig, ebenso wie eine „schnelle Eingreiftruppe“ der Weltgesundheitsorganisation WHO, die derzeit unter Budget- und Personalkürzungen leidet. „Ebola war so etwas wie ein Weckruf, nicht nur für Afrika“, so WHO-Generaldirektorin Margret Chan, „sondern für die gesamte Welt.“ Es reicht nicht, entsprechendes Know-how und technische Möglichkeiten allein in Europa oder Amerika zur Verfügung zu haben. Im Falle eines Ausbruchs ist die schnelle Reaktion vor Ort notwendig, damit aus dem regional gehäuften Auftreten keine Epidemie wird. Das „African Center of Excellence for Genomics of Infectious Diseases“ in Nigeria ist ein Beispiel für Manpower und Know-how vor Ort. Dort arbeiten afrikanische und amerikanische Forscher eng zusammen.
Große Epidemien mit neuen bisher unbekannten Pathogenen seien, so konstatiert der Oxforder Infektiologe Adrian Hill, aller Erfahrung nach sehr selten. Dennoch gibt es etliche Virenarten, die die Forscher genau im Auge behalten, weil sie in der Lage sind, jederzeit einen gefährlichen Ableger hervorzubringen: Dazu gehören vor allem Pockenviren oder Paramyxoviren. Zu letzteren gehören Nipah- und Hendraviren. Beide Familien haben bisher schon für kleinere Ausbrüche mit schweren und zum Teil tödlichen Erkrankungen gesorgt. Aber sehr oft, so die Geschichte schwerer Infektionen, ist der hochpathogene Keim einer echten Bedrohung einer, mit dem keiner der Experten wirklich gerechnet hat. Erreger, die eine echte Herausforderung für das Gesundheitssystem nicht nur in Afrika oder Asien darstellen und mit dem deutschen Begriff „hochkontagiöse lebensbedrohliche Erkrankung“ (HKLE) umschrieben werden, sind vor allem Erreger von viralem hämorrhagischem Fieber oder schweren Erkrankungen der Atemwege. Filo-, Bunya- und Arenaviren auf der einen Seite und MERS und SARS andererseits sind typische Vertreter dieser beiden Gruppen. Hochpathogene Influenzaviren oder neue potentiell von Mensch zu Mensch übertragbare Erreger wie jener des Q-Fiebers Coxiella burnetii könnten sich unter Umständen ebenfalls zu einer Epidemie entwickeln. Im Blickwinkel der Infektions-Weissager stehen schließlich Erreger, die sich einen leichten Ausbreitungsweg – wie etwa jenen über die Luft – ausgesucht haben und auf ein Immunsystem treffen, das bisher keinen Kontakt mit näheren Verwandten des neuartigen Keims hatte. Typisches Beispiel dafür war etwa das SARS-Virus. „SARS kam einer außer Kontrolle geratenden Pandemie außerordentlich nahe“, meint David Morens vom amerikanischen National Institute of Allergy and Infectious Diseases.
Schließlich sind zwei von drei Infektionen Zoonosen, bei denen die Mikrobe vom Tier zum Menschen wandert. Ein Beispiel: MRSA entstanden erst mit dem massenhaften Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht. Ein Arbeitspapier der „Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V.“ fordert daher einen One-Health-Ansatz mit einer deutlich engeren Zusammenarbeit zwischen Human- und Veterinärmedizin als bisher. Wenn etwa der Hundehalter mit entsprechenden antimikrobiellen Wirkstoffen behandelt wird, sollte sich der Tiermediziner auch gleichzeitig um das Haustier kümmern, um ein ständiges Hin- und Herspringen zu verhindern. Aber auch wenn Antibiotika unkontrolliert ins Abwasser gelangen, wächst die Gefahr resistenter Keime, die eines Tages dem Menschen nicht nur gefährlich werden könnten, sondern auch noch schwer zu behandeln sind. „Es gibt Länder wie etwa Indien“, sagt Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, „aus denen man als Reisender mit hoher Wahrscheinlichkeit als ESBL (Extended-Spectrum-Beta-Lactamase-bildende Stämme von Escherchia coli)-träger zurückkommen wird.“ Noch nicht aufgeklärt sind auch Infektionen bei Züchtern von Bunthörnchen. In Sachsen-Anhalt führten die neuartigen und bisher noch nicht beschriebenen Varianten zu drei Meningitis-Fällen. Die gleichen Viren wurden jeweils in Gehirnproben der Hörnchen und ihrer Züchter gefunden.
Wie ist Deutschland auf solche überraschenden Angriffe aus dem Hinterhalt des Mikroben-Dickichts vorbereitet? Im Bundesgesundheitsblatt erschien vor kurzem ein Bericht einer Katastrophenübung am Flughafen München vor knapp zwei Jahren. Im angenommenen Fall handelte es sich um Passagiere mit einer Doppelinfektion mit zwei hochpathogenen Krankheitserregern. Während die Isolierung von Mitreisenden und der Einsatz im Flugzeug gut klappten, schienen bei dieser ersten Übung ihrer Art die Transporte von externen Experten zum Einsatzort und der Patienten in die umliegenden Kliniken noch verbesserungswürdig. Das gilt auch für den Schutz der Einsatzkräfte. Gut dagegen steht es, so ein weiterer Bericht [Paywall] des Bundesgesundheitsblatts, um „Sonderisolierstationen“ für hochansteckende gefährliche Erreger. Die technischen Anforderungen für solche Behandlungszentren sind seit 2012 in bindende Vorschriften gegossen. Eine Vergleichsstudie von 48 solcher Zentren in Europa zeigt in dieser Hinsicht aber noch enorme Unterschiede. Nur 18 dieser Einheiten erfüllten alle Bedingungen für einen sicheren Umgang mit infizierten Patienten, darunter sechs der acht untersuchten deutschen Zentren. 24 Stationen waren nicht in der Lage, unabhängig vom angeschlossenen Klinikum zu arbeiten. Die betreffende Studie ist allerdings nun schon fünf Jahre alt, sodass wohl Hoffnung auf Verbesserung besteht.
Inzwischen kümmert sich auch die Mathematik um die Vorhersage von gefährlichen Epidemien. Am Dresdener Max-Planck-Institut für die Physik komplexer Systeme bemühen sich Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut, das Aufflammen und Vergehen von Doppelinfektionen zu verstehen. Im Gegensatz zu einer stetig ansteigenden Epidemie mit Höhepunkt und schleichendem Verschwinden scheinen Doppelinfektionen unberechenbar. Sie treten oft in Form überraschender, lawinenartiger Ausbrüche auf, die sich wiederholen. Modelle zeigen, wie sich beide Infektionen gegenseitig verstärken können und bei zeitlich versetzten Infektionen sogar in der Abklingphase zu immer neuen Ausbrüchen führen. Schließlich haben Schrecken wie Ebola in Afrika auch zu Ideen über neue Partnerschaften und der schnellen Entwicklung von Vakzinen geführt. Eine Reihe von Experten aus der ganzen Welt forderten im Mai dieses Jahres einen Infektions-Fond, ausgestattet mit rund 10 Mrd. Dollar. Die finanzielle Ausstattung soll aus einer Partnerschaft zwischen öffentlichen und privaten Organisationen und Firmen stammen und die Entwicklung von Wirkstoffen gegen bisher vernachlässigte oft seltene Krankheiten stärken, insbesondere in unterentwickelten Staaten.
Bei neuen Studiendesigns für Vakzine denken Forscher inzwischen an eine präklinische Entwicklung ohne aufwändiges Tiermodell. Stattdessen sollen kleine Vakzin-Batches schnellstmöglich am Menschen erprobt werden und bei erfolgversprechenden Daten schnell in die Massenproduktion übergehen dürfen. Antonio Lanzavercchia, renommierter italienischer Infektiologe, berichtete vor kurzem von einer erfolgreichen Vakzinentwicklung gegen MERS. Antikörper aus Überlebenden der Epidemie dienten dabei als Matrix. Ähnliche Systeme, so die Forscher, wären auch für SARS, Ebola, Dengue und viele andere pathogene Keime denkbar. Die schnelle Sequenzierung und Klonierung in ein geeignetes Produktionssystem gelang dabei der Schweizer Firma Humabs Biomed. Die Antikörper – vorerst als Non-Profit-Projekt konzipiert, sollen sowohl präventiv als auch therapeutisch wirken und 2017 für den weltweiten Einsatz zur Verfügung stehen. Wenn auf diese Weise die Überlebenden gefährlicher Epidemien oder im schlimmsten Fall einer Pandemie zum Schlüssel für ein Mittel gegen den erneuten Ausbruch werden, dann wäre zumindest das Lernen aus den bisherigen Katastrophen erfolgreich gewesen. Die Chancen, der nächsten großen Welle bisher unbeachteter Erreger zumindest mit scharfen Waffen zu begegnen, wäre um einiges größer.