Gräserpollen lösen Heuschnupfen und allergisches Asthma aus. Dass das Allergen bei Neurodermitis-Patienten die Symptome signifikant verstärkt, hat eine Studie unter kontrollierten Bedingungen in Provokationsräumen gezeigt. Passende Therapieoptionen sind angedacht.
Quälender Juckreiz macht Neurodermitis-Patienten das Leben schwer. Die Behandlung dieser insbesondere bei Kindern häufigen Hauterkrankung ist langwierig und nicht immer erfolgreich. Eine Vielzahl von unterschiedlichen Faktoren kann Krankheitsschübe auslösen. Nun hat ein Forscherteam aus Hannover in einer von der Novartis Pharma AG unterstützten Studie gezeigt, dass Patienten mit einer Neurodermitis deutlich auf Gräserpollen reagieren. Wie die Wissenschaftler um Jens Hohlfeld und Thomas Werfel im Journal of Allergy and Clinical Immunology berichten, verschlechterte sich das Hautbild der Betroffenen, nachdem diese dem Allergen ausgesetzt waren, binnen weniger Stunden. Gräserpollen sind ein häufiges Allergen und verursachen auch Heuschnupfen sowie allergisches Asthma. An der kleinen Studie nahmen 17 Erwachsene teil, die alle an einer moderaten Neurodermitis litten und allergisch auf Gräserpollen reagierten. Die Forscher teilten die Probanden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen auf. Weder die Forscher noch die Probanden wussten, wer welcher Gruppe angehörte. Die eine Hälfte der Probanden wurde einer mit Gräserpollen angereicherten Luft ausgesetzt, die andere Hälfte einer allergenfreien Reinluft. „Die Zahl der Patienten war tatsächlich sehr klein, aber im Verlauf der Studie haben wir rasch gesehen, dass diese Anzahl für eine statistisch signifikantes Ergebnis ausreichen könnte, und haben keine weitere Patienten für eine erneute verblindete Provokation mehr rekrutiert“, sagt Hohlfeld, Bereichsleiter am Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin in Hannover.
Für die Experimente etablierten die Forscher einen speziellen Raum, in dem die Provokation mit Gräserpollen stattfinden konnte. Er hat eine Größe von 47 Quadratmetern und ist mit einer leistungsstarken Klima- und Filteranlage ausgestattet. Sie erzeugt eine temperatur- und feuchtigkeitskontrollierte Reinluftatmosphäre, die mit dem gewünschten Allergen angereichert werden kann. Die in der Studie verwendeten Gräserpollen wurden maschinell im Reinluftraum vernebelt und in einer Konzentration von 4.000 Teilchen pro Kubikmeter gleichmäßig in der Luft verteilt. „Diese Menge entspricht ungefähr der Menge, die in der Luft über einer Wiese mit blühenden Gräser enthalten ist“, erklärt Hohlfeld. Alle Probanden mussten sich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils vier Stunden in dem Provokationsraum in sitzender Position aufhalten und wurden während dieses Zeitraums, je nachdem welcher Gruppe sie zugeteilt waren, entweder Luft plus Gräserpollen oder nur Reinluft ausgesetzt. Die Studienteilnehmer trugen dabei Kleidung, die Hals, Nacken, Arme und Hände nicht bedeckte. An beiden Tagen der Provokation und an den drei darauf folgenden Tagen überprüfte die Forscher die Haut der Probanden auf Symptome, die auf eine Neurodermitis hinwiesen. Bewertet wurden die aufgetretenen Hautveränderungen mithilfe des SCORAD-Index – eines Scoring-Systems, das den Schweregrad der für die Neurodermitis typischen Schäden und ihre Ausbreitung auf der Haut berechnet. Zusätzlich entnahmen die Forscher am ersten und fünften Tag bei allen Patienten Blutproben, um diese auf verschiedene Immunzellen und Signalmoleküle zu testen.
Wie schnell und deutlich die Symptome nach dem Aufenthalt im Provokationsraum sich zeigen, überraschte die Forscher: „Bereits am ersten Tag kam es bei einem Teil der Patienten zu einem starken Krankheitsschub auf den frei liegenden Hautarealen“, berichtet Hohlfeld. Nach Aufhebung der Verblindung stellten die Forscher fest, dass das genau die Probanden waren, die den Gräserpollen ausgesetzt waren. Bei diesen Patienten war auch am Tag 3 nach Versuchsbeginn der SCORAD-Wert von 25 auf 40 Punkte um 15 Punkte gestiegen – im Vergleich zur Kontrollgruppe, bei der sich dieser Wert nur um drei Punkte erhöht hatte. Am Tag 5 waren die Unterschiede zwischen beiden Gruppen nicht mehr statisch signifikant. Auch bei den Blutproben gab es Unterschiede: Bei den Probanden aus der Gräserpollen-Gruppe maßen die Forscher nach der Provokation mit dem Allergen einen Anstieg der für die Neurodermitis typischen Signalmoleküle CCL17 und CCL22, bei den anderen Probanden dagegen nicht. „Die Hautveränderungen traten bei den Probanden hauptsächlich dort auf, wo die Haut frei lag, und erst mit zeitlicher Verzögerung und in abgeschwächter Form auch auf bedeckten Hautarealen. Deshalb spricht einiges dafür, dass das Allergen von der Haut aufgenommen werden muss, um die Krankheitssymptome auszulösen“, sagt Werfel, stellvertretender Direktor der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie und Leiter der Forschungsabteilung Immundermatologie und experimentelle Allergologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. „In der Haut können die Gräserpollen in Kontakt mit spezifischen Immunzellen treten, die dadurch aktiviert werden und über weitere Signalwege die Entzündungsreaktion auf der Haut verursachen.“ Es sei eher unwahrscheinlich, so der Mediziner, dass die Inhalation von Gräserpollen in die Lunge zu einem Krankheitsschub führen könne, da die Pollenallergene in der Regel zu groß seien, um in größeren Mengen dorthin zu gelangen. Werfel möchte nun im Rahmen einer weiteren Studie herausfinden, wie es nach einer Provokation mit Gräserpollen zu der Entzündungsreaktion kommt und welche molekularen Mechanismen dafür verantwortlich sind, dass auch nicht dem Allergen ausgesetzte Hautareale von der Entzündung betroffen sein können.
Die Provokationskammer des Fraunhofer-Instituts könnte aber auch eingesetzt werden, um neue Therapieansätze gegen allergisch bedingte Krankheiten auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Denn bei Neurodermitis-Patienten mit einer Gräserpollen-Sensibilisierung stehen bislang nur relativ unspezifische Behandlungsoptionen wie die Bestrahlung mit UV-Licht oder die Gabe von Immunsuppressiva zur Verfügung, die insbesondere bei längerer Anwendung mit schweren Nebenwirkungen verbunden sein können. Deshalb wünschen sich Ärzte spezifischere Therapien: „Eine Hyposensibilisierung mit Gräserpollen käme grundsätzlich in Betracht – ein Ansatz, den man jetzt gezielt durch eine Provokation in den Räumen des Fraunhofer-Instituts testen könnte“, findet Werfel. Auch in der medikamentösen Therapie von akuten Symptomen der durch die Pollen ausgelösten Krankheitsschübe sind Fortschritte in den kommenden Jahren zu erwarten. Die Medikamentenklasse der Antihistaminika unterdrückt effektiv die unerwünschten Symptome von Heuschnupfen, zeigt bei Neurodermitis allerdings kaum eine Wirkung. Die bei Heuschnupfen eingesetzten Antihistaminika blockieren nur den Histamin-1-Rezeptor. Von diesen Rezeptoren existieren im menschlichen Körper jedoch noch drei weitere Subtypen. Der Histamin-4-Rezeptor sitzt unter anderem auf Zellen des Immunsystems, die bei Neurodermitis in die Haut wandern, und auf Nervenfaserzellen, die den für die Krankheit typischen Juckreiz vermitteln. „Substanzen, die gezielt den Histamin-4-Rezeptor blockieren, könnten ein echter Fortschritt für Neurodermitis-Patienten sein“, hofft Werfel. Zurzeit findet eine klinische Studie unter seiner Leitung statt, in deren Rahmen an 90 Patienten mit Neurodermitis ein Wirkstoff gegen den Histamin-4-Rezeptor getestet wird. Mit Ergebnissen rechnet Werfel für 2016. Originalpublikation: Exacerbation of atopic dermatitis on grass pollen exposure in an environmental challenge chamber Werfel, Thomas et al.: Journal of Allergy and Clinical Immunology, Juni 2015; DOI: 10.1016/j.jaci.2015.04.015