Laien googeln nur allzu gerne ihre Symptome, sollten sie an Wehwehchen leiden. Eine gefährliche Strategie: Viele Websites entsprechen nicht geltenden medizinischen Standards. Auf allgemeinverbindliche Zertifikate warten User wohl noch lange.
Brennt der Magen, kratzt der Hals oder schmerzt das Knie, gehen Patienten nicht sofort zum Arzt. Vielmehr zücken sie ihren Computer oder ihr Smartphone und recherchieren online nach Informationen. Jetzt hat die Central Krankenversicherung mehr als 41.000 Suchanfragen aus Deutschland analysiert – mit überraschenden Ergebnissen.
Patienten informieren sich online keineswegs nur über Tabu-Krankheiten, wie zu vermuten gewesen wäre. An erster Stelle wollten sie Details zu Schilddrüsenerkrankungen erfahren (295.000 Suchanfragen pro Monat), gefolgt von Diabetes (140.000) und Hämorrhoiden (127.000). Weiter ging es mit Gastritis (119.000), Magersucht (109.000) und Neurodermitis (107.000). Etwas seltener haben User Details zu ADHS (104.000 Abfragen), Depression (102.000), Diarrhö (99.000) oder Hypertonie (96.000) recherchiert. Erektile Dysfunktionen standen mit 23.000 Abfragen lediglich auf Platz 44.
Forscher fanden dabei regionale Besonderheiten: In den Stadtstaaten Hamburg (1,18 Abfragen pro Person und Jahr), Bremen (1,06) und Berlin (1,03) suchten Patienten besonders häufig nach Krankheiten. Hessen und Nordrhein-Westfalen (0,70), Baden-Württemberg (0,64) und das Saarland lagen im guten Mittelfeld. Vergleichsweise wenig beliebt war Dr. Googles Sprechstunde in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen (je 0,44 Abfragen pro Person und Jahr), in Sachsen-Anhalt (0,41) und in Brandenburg (0,38). Als Erklärung sehen die Autoren soziodemographische Faktoren, aber auch den unterschiedlichen Zugriff auf Online-Medien. Unterschiede gab es darüber hinaus bei den Themen: In Berlin und Brandenburg tippten User besonders häufig „Brustkrebs“ ein, in Bremen und Hamburg wollten sie öfter wissen, was es mit psychosomatischen Erkrankungen auf sich hat. HIV stand in Berlin ganz weit vorne auf der Liste, während sich Bayern eher für Fettstoffwechselstörungen interessierten.
Um die jeweils ersten zehn Treffer einer Suchmaschinenabfrage zu bewerten, erstellten Experten einen ganzen Katalog an Parametern. Es gab inhaltliche Kriterien (Vollständigkeit, Belegbarkeit, Ausgewogenheit) und formale Aspekte (Transparenz, weitere Angaben wie Autoren und Quellen). Ganz wichtig aus Laiensicht war die Frage, wie verständlich ein Text wirklich war. Insgesamt standen 100 Websites auf dem Prüfstand. Um welche Online-Präsenzen es sich handelt, verraten die Autoren nicht – vielleicht aus gutem Grund: Kein Internetauftritt erhielt das Prädikat „sehr gut“; 9 Portale waren „gut“, 34 „befriedigend“, 24 „ausreichend“, 30 „mangelhaft“ und 3 sogar „ungenügend“. Bei formalen Kriterien schnitten viele Online-Präsenzen noch recht vielversprechend ab; Minuspunkte gab es jedoch bei den Inhalten selbst.
Dazu einige Details: Schwächen gab es bei der Variationsbreite an Symptomen, aber auch bei der Darstellung therapeutischer Möglichkeiten. Beispielsweise ging eine Website auf Insulin ein, ohne orale Antidiabetika vorzustellen. Bei 71 aller 100 untersuchten Ratgeberseiten fehlten Hinweise auf Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen oder auf gesundheitliche Folgen, sollten Patienten nicht behandelt werden. Wissenschaftliche Belege vermissten Experten auf drei von vier Seiten. Manche Aussagen waren weder evidenzbasiert noch leitlinienkonform. Zwei Websites gehen etwa auf ADHS ein, ohne Therapien hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zu bewerten. „Angesichts der Tatsache, dass etwa 80 Prozent der Internetsurfer Gesundheitsinformationen im Netz suchen, ist dieses Ergebnis mehr als bedenklich“, sagt Dr. Markus Homann, Leiter des Gesundheitsmanagements der Central Krankenversicherung.
Trotz aller Kritikpunkte ist Homann klar, dass Bürger auch künftig im Web nach Gesundheitsinformationen suchen werden. Verbindliche Standards gibt es bislang nicht – HONcode, afgis oder MediSuch kennen nur wenige Laien. Auch der Bekanntheitsgrad von gesundheitsinformation.de, einem Portal des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), hält sich in Grenzen. Das mag am Nutzerverhalten selbst liegen: Suchen Patienten per Google beispielsweise nach „ADHS“, erscheinen bei den ersten Treffern bunt gemischte Angebote mit unterschiedlicher Qualität – nur nicht gesundheitsinformation.de. Jetzt will das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin neue Wege aufzeigen. Informationsanbieter, Wissenschaftler, Kliniker, Patientenvertreter und Journalisten arbeiten zusammen an einer „Guten Praxis Gesundheitsinformation“. Im ersten Schritt wollen alle Beteiligten ihre Anforderungen definieren. Sie planen als zweiten Schritt ein Netzwerk mit Informationsanbietern, die sich zur Umsetzung aller Kriterien verpflichten. Ihr Wunschtraum: eine Plattform mit methodisch guten Gesundheitsinformationen.