Verhalten sich Forscher in den Medien richtig? Brauchen sie einen Kommunikationsberater? Sind alle Corona-Schagzeilen übertrieben? Eine Ärztin, ein Psychiater und ein Neurologe reden Klartext.
Kommentar von Schwesterfraudoktor, Ärztin und Bloggerin
Forschung hat bis vor Kurzem niemanden wirklich interessiert. Forscher waren in der allgemeinen Vorstellung Menschen, die einsam in ihrer Cordhose in irgendwelchen Laboren sitzen und versehentlich den Inhalt ihrer Kaffeetasse in die Zellkultur kippen.
In Hollywoodfilmen sind es solche, die auf einem Sofa im Labor schlafen, weil die Frau sie verlassen hat (welches Labor hat eigentlich ein Sofa?), durch einen schrillen Alarmton geweckt werden, um dann sehr nervös wichtige Formeln in ihren Rechner zu tippen, weil sie den nahenden, potenziell erdzerstörenden Asteroiden entdeckt haben.
Oder wahlweise böse Killerviren unter dem Mikroskop, die schließlich schmatzend und kauend die Weltbevölkerung dezimieren.
Seit Beginn der Corona-Pandemie stellt sich aber heraus, dass Forscher Personen sind, die wichtige Dinge tun, die von den meisten Menschen nicht verstanden werden. Und das schon immer. Nicht erst, seitdem sie in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit geraten sind.
Wissenschaftler beraten Personen aus Politik und Wirtschaft seit jeher in Fragen der nationalen Gesundheit, in Sachen Klimaschutz oder beispielsweise zum geplanten Bau einer Stromtrasse und deren ökologischer Konsequenzen. Es hat nur bisher niemand wahrgenommen, weil sie nicht in der Öffentlichkeit agierten.
Aber dank SARS-CoV-2 und COVID-19 rückte die Meinung der Virologen und Epidemiologen in den Fokus. Man wollte hören, wie sie sich in persona und tagesaktuell zur Lage äußern. Um sie wahlweise zu glorifizieren, in der Luft zu zerreißen oder beides zu tun – erst das eine, dann das andere. Dank sozialer Medien und so mancher Boulevardpresse gibt es nun massenhaft Hobby-Virologen und gewiefte Experten in Sachen Coronavirus.
Ein inzwischen sehr bekannter Naturwissenschaftler hat jahrelang Coronaviren erforscht und dazu viele Studien publiziert? Egal. Der allgemeinungebildete YouTuber lässt sich davon nicht beeindrucken, denn er hat viele Videos gesehen und kennt sich aus.
Eine Naturwissenschaftlerin erklärt, was es zur Eindämmung der Pandemie braucht, weil sie analytisches und rationales Denken verinnerlicht hat. Egal. Das Bauchgefühl des gemeinen Facebook-Nutzers spricht eine andere Sprache. „Die Pandemie ist vorbei! Freiheit für den Mundschutz! Und die Grundrechte.“ Oder so ähnlich.
Wissenschaftler haben es derzeit nicht leicht. Sie stehen seit der Pandemie im Fokus der Aufmerksamkeit und mögen bitte die Menschheit vor dem Untergang bewahren. Wenn sie dann aber ihre Untersuchungsergebnisse publizieren und diskutieren (Stichwort Preprint), weiß es der YouTuber respektive Facebook-Nutzer besser und schreit ein großes „Unsinn!“ oder „Wo ist unsere Freiheit?“ in den sozialen Medienhimmel.
Dabei haben diese Schreihälse in der Regel kein Wissen darüber, wie Forschung überhaupt funktioniert. Hypothesen aufzustellen, sie zu beweisen oder zu widerlegen, Ergebnisse zu diskutieren und auch hin und wieder zu revidieren, ist Teil des Geschäfts.
Dass man eine Hypothese verifizieren kann, ist nicht der einzige Zweck einer Studie. Eher im Gegenteil. Den Beweis für eine Tatsache zu erbringen, ist manchmal schwerer, als sie zu widerlegen. Da gibt es das berühmte Beispiel mit den weißen Schwänen. Zu beweisen, dass alle Schwäne weiß sind, kann nicht durch den Fund eines einzigen weißen Schwans funktionieren. Durch den Fund eines einzigen schwarzen Schwans jedoch ist der logische Schluss möglich, dass nicht alle Schwäne weiß sind. Heureka!
Falsifikationismus kann neue Erkenntnisse bringen und die Forschung vorantreiben, das entspricht nicht einem Versagen der Naturwissenschaft, auch wenn es von manchen Medien so gedeutet wird.
Forschung funktioniert nicht von heute auf morgen, sondern benötigt mitunter Jahre. Und eben auch viele Forschungsgelder, was nicht heißt, dass die „Böse Pharma“ sich an ihnen bereichert. Forschung ist so vielfältig und funktioniert nach Regeln, die viel Erfahrung und Wissen erfordern.
Aus diesem Grunde brauchen Forscher meiner Meinung nach auch keinen Kommunikationsberater. Denn ihre Aufgabe ist nicht die Kommunikation mit der breiten Öffentlichkeit, sondern die Forschung und die Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern. Sie sprechen die gleiche Sprache. Die Übersetzung für die Allgemeinheit erfolgt dann durch Wissenschaftsjournalisten, Sprecher und Politiker.
Nein, Forscher brauchen keine Kommunikationsberater. YouTuber, Facebooker und semiprofessionelle Kommentatoren allerdings schon. Nämlich zu der Frage: Wenn ich keine Ahnung habe, sollte ich dann vielleicht einfach mal elegant schweigen?
Kommentar von Peter Teuschel, Psychiater und Blogger
Der österreichische Künstler Arik Brauer singt in seinem Lied Metamorfosalasumbalalei die Strophe
Wo es laut ist, ist es schön.
Wer will da beiseite steh´n?
Und es kommen alle, alle,
die vom Neuen nichts versteh’n.‘
An diese Zeilen muss ich denken, wenn ich die aktuelle Medienlandschaft rund um Christian Drosten und seine Virologen-Kollegen betrachte. Da ist schon sehr viel Neues zu bestaunen.
Wer außer Wissenschaftlern hat denn vor Corona gewusst, wie Studien erstellt werden? Dass es den so genannten Preprint gibt, einen Entwurf, der zur Diskussion gestellt wird? Eigentlich ist damit ja die Diskussion unter Forschern gemeint, aber in unseren medien- und meinungslastigen Zeiten redet da halt jeder mit. Auch die Bild-Zeitung.
Da verwundert es dann nicht, wenn es zu Konflikten kommt, die öffentlich ausgetragen werden.
Beide Seiten wurden kritisiert, die Bild für ihre Kampagne gegen den Forscher und Drosten für seine Art, zurückzuschlagen.
Auch das kannten wir bisher ja nicht: Dass ein Wissenschaftler nicht im stillen Kämmerlein seines Elfenbeinturms vor sich hin forscht, sondern die Regierung berät und ein Medienstar wird.
Zumindest ist es neu, womit wir wieder bei Arik Brauer wären: Alle, alle, die nichts von Wissenschaft verstehen, kommen angeströmt und reden mit. Das kann ganz schön anstrengend sein.
In meinen Augen steckt darin aber auch eine große Chance. Nein, sogar mehrere Chancen:
Kommunikationsberater für Forscher, wie sie zur Zeit von der einen oder dem anderen gefordert werden, halte ich aber für überflüssig. Da hätte ich Angst, dass nur eine neue Kunstsprache entsteht, ähnlich dem Politikerslang, den wir täglich zu hören bekommen.
Und ganz ehrlich glaube ich: Wenn sich der Nebel der Aufregung rund um Drosten und Bild gelichtet haben wird, dann werden alle dazugelernt haben. Am wichtigsten natürlich, dass alle Menschen in diesem Land, die dazu fähig und bereit sind, nun besser einschätzen können, was Forschung bedeutet.
Manche Politiker werden vielleicht eine Ahnung entwickelt haben, was der Unterschied zwischen Meinung und wissenschaftlichem Standpunkt ist. Die Forscher werden erfahrener sein im Umgang mit den Medien und selbst die Bild wird eine neue Erkenntnis gewonnen haben: „Don´t mess with Drosten!“
Kommentar von Andreas Lüschow, Neurologe an der Charité Berlin und DocCheck Kanalexperte
Corona zeigt den wissenschaftlichen Diskurs, seine Darstellung in den Medien und die Wechselwirkung mit der Politik wie unter einem Brennglas. Ich finde an dem aktuellen Zwist zwischen dem Virologen Christian Drosten und Bild, ehrlich gesagt, überhaupt nichts überraschend, interessant oder irgendwie erhellend und sehe auch nicht, welche revolutionären Schlüsse man daraus ziehen sollte, könnte oder müsste.
Julian Reichelt (Chefredaktion Bild-Zeitung), den es aus dem wohlhabenden Othmarschen ins wilde Afghanistan trieb und der seither glaubt, er sei ein ganz Harter, versucht Bild gerade wieder den aggressiven Geist der frühen Siebziger einzuhauchen und positioniert sich als aufrechter Kämpfer gegen den Zeitgeist, angeführt von Kanzlerin Merkel, aktuell in Gestalt ihres profiliertesten virologischen Beraters, Christian Drosten.
Herr Reichelt möchte viel Attention, viel Geld verdienen und viele Leser gewinnen. Soll er doch. Ob es klappt, ist eine andere Frage.
Da hat jetzt einer seiner Mannen eine Studie von Herrn Drosten ins Visier genommen, die sich mit der Corona-Infektiosität von Kindern auseinandersetzt und meint, letztere zerlegt zu haben. Wer hier Recht hat, ist im Moment noch nicht so richtig klar. Ist aber eigentlich auch ziemlich egal. Retrospektiv ist man natürlich immer schlauer, sprich, vielleicht hätte es mancher Einschränkungen im Detail nicht bedurft.
Hätte, hätte, Fahrradkette, sage ich und verweise auf die im Mai erschienene Studie in Science aus dem Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen, die klar belegt, dass nur die Kombination der vorgenommenen Beschränkungen zu dem signifikanten Rückgang an Infektionen geführt hat.
Dass jemand wie Herr Drosten irgendwann mal ins Kreuzfeuer gerät, ist auch nicht wirklich überraschend. Auch er hat sich, was vollkommen normal ist, in diesen aufgeheizten Zeiten, zu einigen nicht ganz bedachten Äußerungen hinreißen lassen. Deshalb braucht er aber sicher keinen Kommunikationsberater. Dass einige Medien die Chose hochjazzen, ist auch nicht überraschend; aber es ist komplett entbehrlich und nervt fast noch mehr als die Aktion der Bildredaktion selbst.
Letztlich ist es aber so, dass Christian Drosten HORST ist. HORST schaufelt die Grube und nicht Julian Reichelt, aber eben auch nicht Alexander Kekulé und andere, die oben am Rand stehen und glauben, sie könnten die Schaufel besser führen.
Ich habe dieses Bild von HORST schon einmal verwendet, als es darum ging, wer eigentlich in der Pflege die Arbeit macht und wer nicht. Es ist mir nun wieder eingefallen, weil Herr Drosten in einer Replik auf die Kritik an seiner Kinderstudie das Bild des Maurers verwendet, der ein Gartenhäuschen hochzieht.
Manche scheinen überrascht, dass auch im wissenschaftliche Diskurs mitunter mit harten Bandagen gerungen wird. Im Gegensatz zu vielen anderen Feldern existieren jedoch ziemlich eindeutige Kriterien für Fortschritt. Es gibt nicht ohne Grund den Satz in der Medizin „Wer heilt hat Recht“. Und zur Entwicklung eines Impfstoffes tragen nun mal nur die bei, die sich in der Tat mit der Materie beschäftigen.
Auch dafür gibt es ein ziemlich eindeutiges Kriterium; man sollte in der Sache publiziert haben. Gibt man beispielsweise die Namen Streeck, Kekulé oder Drosten in der Datenbank PubMed ein und verknüpft die Suche mit dem Akronym SARS, dann findet man für Herrn Drosten 68 Einträge, für Herrn Streeck 2 und für Herrn Kekulé 0 Einträge.
Also, alle mal ganz locker bleiben, Klappe halten und abwarten, bis die Arbeit von denjenigen erledigt ist, die sie tun. Und wenn nächstes Jahr Außerirdische kommen, dann schau‘n wir mal, was wir dann gelernt haben.
Bildquelle: Richard Ciraulo/Unsplash