Es gibt schon wieder eine mehr: Ich spreche von den kostenlosen Kundenzeitschriften, die in der Apotheke ausliegen. Wie viel Erpressung steckt im angeblichen Kundenbinder?
Seit vergangener Woche liegt sie in etwa 5.000 deutschen Apotheken aus: die neue exklusive Frauenzeitschrift der Funke Mediengruppe und des Pharmagroßhändlers Phoenix, Deine Apotheke. Die erste Ausgabe umfasst 84 Seiten mit einer Auflage von 500.000 Exemplaren. Doch Deine Apotheke ist nicht etwa nur eine bloße Zeitschrift. Verknüpft damit ist auch eine Vorbestell-App. Toll. Ich frage mich: Brauchen wir wirklich noch eine Kundenzeitschrift?
Apothekenzeitschriften gibt es inzwischen sehr viele. Alleine die Wort & Bild Gruppe druckt neben ihrem Verkaufsschlager und führendem Apothekenmagazin, der Apotheken Umschau (Auflage im ersten Quartal 2020: über 8,27 Millionen Exemplare), noch den Diabetiker Ratgeber, den Senioren Ratgeber, die Familienzeitschrift Baby & Familie und das Kinderheft Medizini.
Daneben finden sich außerdem noch der Ratgeber: Meine Apotheke mit 2,3 Millionen Exemplaren und das Kindermagazin Junior. Seit kurzem kommt hier noch die Mylife dazu, die aus dem Bündnis „Zukunftspakt“ zwischen dem Pharmagroßhändler Noweda und der Verlagsgruppe Burda entstanden ist. Hier gehören die Gut leben mit Diabetes, ein Seniorenratgeber, ein Rätselmagazin und das Kinderheft Platsch sowie ebenfalls eine Bestellapp dazu. Von der Mediengruppe Deutscher Apotheker, Avoxa, wird die Neue Apotheken-Illustrierte herausgebracht. Manchmal fühle ich mich wie im Zeitschriftenladen.
Die Zeitschriften sollen als Kundenbindungsinstrument dienen, doch manchmal bin ich mir da gar nicht so sicher. Viele Kunden kommen tatsächlich nur wegen der Zeitschrift zu uns und kaufen nicht einmal eine Packung Bonbons dazu. Sie ist ja kostenlos, nicht wahr? Ja, sie ist kostenlos, aber eben nur für den Apothekenkunden. Der Apothekeninhaber zahlt ganz ordentlich für das Sammelsurium aus Rezeptideen, Gesundheitstipps und Kinderbasteleien. An Beratungsfragen kommt da höchstens noch: „Haben Sie keine Umschau mit Fernsehteil?“ oder „Warum ist denn hier kein extra Rätselteil dabei?“
Besonders beliebt bei allen Apotheken, die ich kenne, ist es übrigens, gleich vier oder fünf Mal das komplette Sortiment an Zeitschriften zu verlangen. Für Nachbarn, Freunde und den Schwippschwager, die allesamt natürlich nicht bei uns, sondern im Internet einkaufen. Dort gibt es nämlich (noch) keine Umschau, dafür ist dann die Apotheke vor Ort wieder gut genug.
Warum bestellt man die Zeitschriften also nicht einfach ab, und erspart sich den Ärger und den Run auf den geschenkten Lesestoff zum 1. und 15. jeden Monats? Zum einen ist es für viele Kunden eben doch ein Bindungsinstrument, und auch für viele ältere Menschen etwas, auf das sie sich einfach freuen. Die Gesundheitsthemen sind häufig gut recherchiert und ab und an finden die Kunden eben doch etwas darin, was wir miteinander besprechen können. Anzeigen für Glycowohl zum Beispiel, das man ihnen dann ausreden kann, um eine bessere Lösung zu finden.
Zum anderen handelt es sich bei den ganzen Blättchen aber auch schlicht um Erpressung. Legst du Deine Apotheke-Zeitschriften aus, dann finden dich die Kunden in der Deine Apotheke-Bestell-App. Führst du die Mylife, dann führt dich ein Online-Bestellportal. Die Werbestrategie der Umschau mit der Dauerbeschallung der Kunden per Radiowerbung oder Werbung direkt vor Beginn der Tagesschau zahlt sich selbstverständlich ebenfalls aus.
Doch wie viele Zeitschriften verträgt eine öffentliche Apotheke, ohne an Seriosität zu verlieren? Wenn noch mehr Zeitschriften ausliegen, fragen die Kunden dann vielleicht bald noch nach Lottoscheinen und Zigaretten?
Auch eine weitere Vorbestell-App sehe ich eher kritisch. Die Apotheken vor Ort sollten besser auf eine große gemeinsame Vorbestell-App setzen, die jeder kennt, anstatt sich im Klein-Klein hunderter verschiedener Einzel-Apps zu verlieren. Meine Meinung? Ich würde mich an der Titelstory der Erstausgabe von Deine Apotheke orientieren: „Ruhig öfter mal Nein sagen“.
Bildquelle: Javier Quiroga, Unsplash