Wie verbreitet sind „Students' Little Helper“ tatsächlich? Eine aktuelle DZHW-Befragung zeigt: weniger als gedacht. Der Anteil der Studierenden, die Medikamente und illegale Drogen einnehmen, um das Studium zu bewältigen, ist mit 6 Prozent nahezu unverändert gering.
Das Studium gehört erwartungsgemäß zu den Lebensbereichen, die für Studierende häufig eine Quelle für Belastung oder Stress sind. Doch im Unterschied zum möglichen Eindruck aus zahlreichen Medienberichten, nimmt lediglich ein kleiner Anteil von 6 Prozent der Studierenden nach eigenen Aussagen verschreibungspflichtige Medikamente oder illegale Drogen, um beim Lernen länger durchzuhalten und vor allem um überhaupt in der Lage zu sein, stressige Situationen wie Prüfungen zu meistern. So lautet zumindest das Ergebnis der nun vorgelegten Studie „Formen der Stresskompensation und Leistungssteigerung im Studium“, die das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) in Hannover im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit im Wintersemester 2014/15 mit ca. 6.700 Befragten durchgeführt hat. In der Studie werden diese Studierenden – in Analogie zum Doping beim Sport – als „Hirndopende“ bezeichnet. Die Quote der Studierenden, die mit frei verkäuflichen Mitteln (Koffeintabletten, Energy Drinks, Vitaminpräparaten, Schlaf-, Beruhigungs- oder Schmerzmitteln, homöopathischen oder pflanzlichen Substanzen) versuchen, das Studium besser zu bewältigen, ist mit 8 Prozent etwas größer. Diese Studierenden werden als „Soft-Enhancende“ bezeichnet. In den letzten vier Jahren hat sich der Anteil „Soft-Enhancender“ etwas erhöht: Zum Zeitpunkt der ersten Erhebung, im Wintersemester 2010/11, betrug er 5 Prozent. Studentinnen gehören genauso häufig wie Studenten zu den „Hirndopenden“. „Soft-Enhancement“ hingegen ist unter Studentinnen mit 10 Prozent häufiger zu beobachten als unter Studenten (6 Prozent). Studierende mit leistungsbezogenem Substanzkonsum – 2012 und 2010 im Vergleich, in Prozent. © DZHW: HISBUS-Befragung Hirndoping II
Die Ergebnisse deutet das DZHW wie folgt: Den Studierenden, die zum „Hirndoping“ greifen, gehe es auf vielen Ebenen nicht gut: Sie fühlen sich aktuell stark bis sehr stark gestresst, sie sind mit ihrem Leben insgesamt deutlich unzufriedener als die Mehrheit der Studierenden, sie fühlen sich von vergleichsweise vielen Lebensbereichen belastet (Studium, Nebenjob, Finanzen, Gesundheit, Partnerschaft). An der Hochschule seien sie weniger gut integriert als ihre Mitstudierenden. Sie hätten seltener Kontakte zu ihren Kommilitonen oder zu den Lehrenden, von denen sie sich zudem häufig nicht anerkannt fühlen. Ihre Schwierigkeiten im Studium seien überdurchschnittlich groß und die Selbsteinschätzung ihrer Studienleistung falle tendenziell schlechter aus als bei den Mitstudierenden.
Um die Bedeutung des leistungsbezogenen Substanzmissbrauchs im Zusammenhang mit anderen gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen zu untersuchen, wurde auch der wesentlich weiter verbreitete Alkohol- und Nikotinkonsum der Studierenden erfragt. Jeder vierte Studierende zählt zu den Rauchern, von den „Hirndopenden“ jedoch mit 47 Prozent anteilig fast doppelt so viele („Soft-Enhancende: 27 Prozent, Nicht-Anwendende: 23 Prozent). Ähnlich große Unterschiede zeigen sich beim Alkoholkonsum. Die Hälfte der „Hirndopenden“ trinkt mindestens einmal pro Woche Alkohol. Bei den „Nicht-Anwendenden“ und v. a. bei den „Soft-Enhancenden“ ist dieser Prozentsatz deutlich geringer. Häufigkeit des Alkoholkonsums nach Konsumtyp, in Prozent. © DZHW: HISBUS-Befragung Hirndoping II Im Vergleich verschiedener Risikofaktoren beobachtete das DZHW, dass vor allem ein hohes subjektives Stressniveau und eine geringe Lebenszufriedenheit ausschlaggebend dafür seien, ob Studierende „Hirndoping“ betreiben. Aus diesem Grund seien vor allem Studierende gefährdet, die aufgrund ihrer Persönlichkeit besonders sensibel auf Stress reagieren. Aber auch stressresilientere Studierende haben ein höheres Risiko für „Hirndoping“, wenn sie entsprechenden Belastungen ausgesetzt sind. Darüber hinaus stelle Cannabiskonsum einen Risikofaktor für Hirndoping dar. Demgegenüber sei „Soft-Enhancement“ stärker von Persönlichkeitsmerkmalen wie starker Stressempfindlichkeit, extrovertiertem Auftreten und Wettbewerbsorientierung abhängig und weniger vom akuten Stressempfinden oder der Lebenszufriedenheit. Diese Merkmale seien – zumindest teilweise – häufiger bei Frauen zu finden, so die Auswertung der DZHW.
Warum einige Studierende zu verschreibungspflichtigen Medikamenten und/oder illegalen Drogen greifen („Hirndoping“), während andere ausschließlich frei erhältliche Substanzen („Soft-Enhancement“) wählen, könne vor allem mit den Gründen für die Einnahme leistungssteigernder Mittel erklärt werden: Studierende, die Substanzen zur Schmerzbekämpfung, aus gesundheitlichen Gründen oder aus Neugier nehmen, oder um den Zeitaufwand zum Lernen gering zu halten, hätten eine deutlich höhere Neigung zum „Hirndoping“ als andere Studierende mit leistungsbezogenem Substanzkonsum. Originalpublikation: Formen der Stresskompensation und Leistungssteigerung bei Studierenden . Wiederholungsbefragung des HISBUS-Panels zu Verbreitung und Mustern studienbezogenen Substanzkonsums Elke Middendorff et al; Forum Hochschule 4/2015