Lysergsäurediethylamid, Psilocybin oder Ketamin – wer dabei nur an illegale Substanzen denkt, übersieht einen entscheidenden Aspekt: Jahrelange Verbote haben der Forschung schwer geschadet. Viele Moleküle zeigen in kleineren Untersuchungen wünschenswerte Effekte.
Bis zum Jahr 1967 war die Welt noch in Ordnung: Wissenschaftler konnten ungestört untersuchen, welche Effekte Lysergsäurediethylamid (LSD), Psilocybin und ähnliche Verbindungen haben. Durch den US-amerikanischen Controlled Substances Act nahm ihre Arbeit ein jähes Ende. Viele Länder zogen nach und stuften entsprechende Substanzen als „besonders gefährlich“ ein. Die Konsequenz: Ohne aufwändige Sondergenehmigungen war keine Forschung mehr möglich. Zeitgleich schnellten Preise für Reinsubstanzen des Chemikalienhandels exorbitant in die Höhe. Erschwerend kam 1971 eine Resolution der Vereinten Nationen mit hinzu. UN-Gremien sprachen psychotropen Molekülen jeglichen Nutzen ab.
Diese Einschätzung sei „politisch, aber nicht wissenschaftlich motiviert“, schreibt James Rucker, London, in einem Kommentar [Paywall]. Bis 1967 hätte es allein 1.000 Fachartikel zum medizinischen Einsatz von LSD gegeben. Danach war Schicht im Schacht, aus Angst vor Gefahren. Zu Unrecht: Rucker zieht den therapeutischen Index als sicherheitsrelevante Größe heran. Der Wert errechnet sich als Quotient aus LD5 (Dosis, die bei 5 Prozent aller Probanden eine tödliche Wirkung hervorruft) und ED95 (Dosis, die bei 95 Prozent aller Probanden die erwünschte Wirkung zeigt). Größere Werte stehen für sichere Moleküle. Für LSD beziehungsweise Psilocybin gibt Rucker 1.000 an, für Alkohol 10, und für Kokain 15. Damit nicht genug: Bei Konsumenten psychedelischer Substanzen, die im Rahmen eines Surveys befragt worden waren, zeigten sich niedrigere Suizidraten und weniger psychische Erkrankungen. Grund genug, die Wirkstoffe näher in Augenschein zu nehmen.
Bereits 1963 ließ sich Aldous Huxley 100 Mikrogramm LSD intramuskulär spritzen. Er litt an unheilbarem Kehlkopfkrebs und quälte sich mit Angststörungen. Jahrzehnte später nahm Peter Gasser, ein Schweizer Psychiater und Psychotherapeut, den roten Faden wieder auf. In einer Studie mit zwölf Patienten hat er untersucht, welchen Effekt das umstrittene Molekül hat. Alle Teilnehmer litten an Angst in Zusammenhang mit lebensbedrohlichen Erkrankungen. Sie erhielten randomisiert 200 Mikrogramm oder 20 Mikrogramm LSD mit Dosiserhöhung auf 200 Mikrogramm. Psychotherapien kamen mit hinzu. Unter diesem Protokoll verbesserte sich die Furcht, gemessen am State-Trait Anxiety Inventory (STAI), signifikant. Gassers Vorteil: Schweizer Behörden tolerieren entsprechende Experimente. Ähnlich liberal ist die Haltung skandinavischer Staaten. Pål-Ørjan Johansen aus Trondheim ging der Frage nach, ob LSD bei Alkoholsucht zum Einsatz kommen könnte. Für seine Metaanalyse identifizierte er sechs geeignete Studien mit insgesamt 536 Teilnehmern. Der Forscher berichtet von statistisch signifikanten Hinweisen, dass sich LSD im klinischen Umfeld positiv auf die Behandlung auswirke. Eine einzelne Dosis des Wirkstoffs verringerte zusammen mit unterschiedlichen Programmen den Alkoholabusus.
LSD ist wissenschaftlich betrachtet kein Einzelfall. Ursprünglich als Anästhetikum entwickelt, später als KO-Tropfen zweckentfremdet, erlebt auch Ketamin einen zweiten Frühling. Britische Psychiater um Rupert McShane verabreichten den Arzneistoff an 28 Patienten mit therapierefraktären schwersten Depressionen [Paywall]. Bei acht von ihnen (29 Prozent) zeigten sich überraschende Effekte – die psychische Erkrankung verschwand sofort oder verbesserte sich deutlich. Damit stelle Ketamin eine Alternative zur Elektrokrampftherapie dar, heißt es im Beitrag. Als Nachteil sieht McShane, dass die Behandlung regelmäßig wiederholt werden muss, im Median waren Gaben alle zwei Monate erforderlich. Auch bei bipolaren Störungen besserten sich die Symptome. In beiden Fällen führten Zufallsentdeckungen zur weiteren Untersuchung. Jetzt ist es Forschern aus Freiburg gelungen, grundlegende Mechanismen zu entschlüsseln [Paywall]. Ketamin stimuliert die sogenannte Homer1a-Schaltstelle im präfrontalen Cortex sofort, während beispielsweise Imipramin erst nach Wochen Effekte zeigt – ein entscheidender Vorteil. Bislang fehlen Wirkstoffe zur Akuttherapie von Depressionen. Homer1a hat regulatorische Aufgaben bei der Reizübertragung zwischen Nervenzellen. Blockierten Wissenschaftler diese Struktur im Tierexperiment, blieben entsprechende Effekte aus.
Auch zu Psilocybin liegen neue Daten vor. Charles S. Grob und George R. Greer berichten von den Resultaten einer Placebo-kontrollierten Pilotstudie. Zwölf Krebspatienten mit starken Angststörungen erhielten das Pilz-Halluzinogen in relativ geringer Dosierung, nämlich 0,2 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Dabei verringerten sich psychosomatische Befindlichkeitsstörungen auf verschiedenen Skalen. Rainer Kraehenmann aus Zürich wollte wissen, welche biochemischen Mechanismen der Wirkung zugrunde liegen [Paywall]. Dank der funktionellen Kernspintomographie wies er Effekte auf die Amygdalae nach. Dort sind unsere Angstzentren lokalisiert.
Bei aller Euphorie haben viele Studien ihre Schwächen. Teilweise arbeiten Wissenschaftler mit Tiermodellen, und teilweise ist die Zahl an Probanden zu niedrig. James Rucker fordert deshalb methodisch hochwertige Arbeiten, um das therapeutische Potenzial von LSD & Co. zu untersuchen. Er will erreichen, dass die UN General Assembly Special Session on Drugs diverse Moleküle neu klassifiziert. Das nächste Treffen der Gruppe ist im kommenden Jahr.