Sie schob es auf den Jetlag – doch der Grund für ihre Angeschlagenheit war SARS-CoV-2. Die Reise der Corona-Patientin Null zeigt einmal mehr, wie leicht das Virus übertragen werden kann. Es reicht, sich einen Salzstreuer vom Nebentisch zu leihen.
Die ersten Infektionen mit SARS-CoV-2 traten in Deutschland Ende Januar in einem Unternehmen in Bayern auf. Eine Geschäftsfrau hatte das Virus direkt aus China eingeschleppt. Infektiologen haben die Infektionskette jetzt genau aufgeschlüsselt und ihre Ergebnisse in The Lancet veröffentlicht. Wie hat sich das Virus ausgebreitet? Wir gehen die einzelnen Stationen durch.
Am 16. Januar 2020 beginnt die Geschichte des sogenannten Webasto Clusters, den ersten bekannten Infektionsfällen in Deutschland. An diesem Tag reisten die Eltern der Patientin 0 aus Wuhan nach Shanghai, um ihre Tochter zu besuchen. Wie sich später herausstellt, klagten die Eltern in der Woche zuvor über erkältungsähnliche Symptome. Einer der beiden fühlte sich auch während des Besuchs noch schwach und hatte keinen Appetit.
Patientin 0 arbeitet in China für Webasto, einen deutschen Automobilzulieferer. Am 19. Januar reiste sie aus Shanghai nach München, um im Firmengebäude an Meetings und Workshops teilzunehmen. Einen Tag später, am 20. Januar, war ein einstündiges Meeting in einem kleinen Raum mit Patientin 0 und drei weiteren Mitarbeitern angesetzt. Darunter der spätere Patient 1, der direkt neben der Frau saß, gegenüber von ihnen saßen zwei Kollegen, die sich allerdings nicht mit dem Virus infizierten. An diesem Tag bemerkte die chinesische Geschäftsfrau Schmerzen in Brust und Rücken, wogegen sie eine Paracetamol einnahm.
Am 21. Januar hatte Patient 1 einen weiteren kurzen Kontakt zur Patientin 0 und entwickelte ab dem 23. Januar erkältungsähnliche Symptome. Die Chinesin gab später an, sie fühlte sich den ganzen Aufenthalt in Deutschland lang müde, schob es aber auf den Jetlag. Am 22. Januar kehrte die Frau per Nachtflug wieder nach Shanghai zurück. Mit ihr flog auch ein weiterer chinesischer Kollege, Patient 13, der am 27. Januar erste Symptome einer Erkältung zeigte. Wegen erhöhter Temperatur (38,6 °C) und Husten stellte Patientin 0 sich schließlich am 25. Januar bei einem Arzt vor. Dort wurde sie positiv auf eine SARS-CoV-2-Infektion getestet und am 26. Januar in eine Klinik eingeliefert.
Während die Frau schon wieder auf der Heimreise war, verbreitete sich das Virus unbemerkt weiter unter den Mitarbeitern des bayerischen Unternehmens. Patient 2 und 3 geben später an, keinen direkten Kontakt zu Patientin 0 gehabt zu haben. Patient 3 arbeitete jedoch am 24. Januar für eine kurze Zeit zusammen mit Patient 1 am gleichen Computer. Einen Tag später entwickelte Patient 3 erste Symptome und hatte ein 90-minütiges Meeting mit Patient 12. Dieser flog drei Tage später (28. Januar) nach Spanien, wo er am 30. Januar positiv getestet und im dortigen Krankenhaus in Quarantäne bleiben musste. Patient 2 infizierte eine in seinem Haushalt wohnende Person, Patient 15. Patient 4 hatte am 20., 21. und 22. Januar Kontakt zu Patientin 0 und berichtete am 24. Januar von leichten Erkältungssymptomen.
Ein Mittagessen in der Kantine am 22. Januar sorgte offenbar für eine Kettenreaktion und verpasste der Ausbreitung des Virus einen Schub: In der Kantine des Unternehmens steckte Patient 4 vermutlich Patient 5 an. Zwar saßen beide an diesem Tag Rücken an Rücken an unterschiedlichen Tischen, doch es kam zu einem kurzen Kontakt als sich Patient 5 zu Patient 4 umdrehte, um sich den Salzstreuer auszuleihen.
Patient 5 steckte danach nicht nur zwei weitere Kollegen an – Patient 7 während eines 1,5 stündigen Meetings am 24. Januar und Patient 8 bei einem ihrer täglichen Meetings – sondern auch die Bewohner seines Haushalts, Patient 11, 6 und 9. Patient 7 wiederum traf sich am 28. Januar mit Patient 10 und 16 für ein einstündiges Meeting. Er infizierte zudem Patient 14, ein Mitglied seines Haushalts.
Am Montagmorgen, den 27. Januar, wurde das Unternehmen in München über das positive Testergebnis der Patientin 0 informiert, das sogleich die Mitarbeiter und die Gesundheitsbehörde informierte. Insgesamt konnten im Nachhinein 16 Fälle mit Patientin 0 in Verbindung gebracht werden, 4 waren weiblich und 12 männlich – welche Patienten das genau waren, wird aus dem Bericht nicht ersichtlich. Zwei der Patienten hatten Anzeichen einer Pneumonie entwickelt, die restlichen Patienten wiesen milde Verläufe auf. Das könnte auch am Alter liegen, schreiben die Forscher. Das mittlere Alter der Patienten liegt bei 35 Jahren.
Ausgehend von den 16 Infizierten konnten weitere 241 Kontaktpersonen identifiziert und wenn nötig, Quarantäne angeordnet werden. Damit ließ sich die Infektionskette des Webasto Clusters erfolgreich brechen.
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