Es liegen Studiendaten dazu vor, dass Nierenparameter den Verlauf einer COVID-19-Erkrankung vorhersagen können. Drei Nierenwerte sollten in die Basisdiagnostik aufgenommen werden, sagen Nephrologen.
Eine vergangene Woche im The Lancet veröffentlichte Korrespondenz stellte die durch erste Daten begründete Hypothese auf, dass einfache Nierenparameter den Verlauf einer COVID-19-Erkrankung vorhersagen können. Eine Studie zur Validierung dieser ersten Daten wurde bereits angestoßen. Diese Erkenntnis hätte auch eine therapeutische Konsequenz – so könnten gezielt COVID-19-Hochrisikopatienten eine prophylaktische Therapie erhalten und somit Leben gerettet werden. Die Hoffung ist, dass die Ergebnisse vor der prognostizierten zweiten Infektionswelle im Herbst vorliegen.
Zwei Studien von Li Z et al. sowie Cheng Y et al. zeigen, dass es bei Patienten, die an Covid-19 erkranken, häufig schon frühzeitig im Verlauf zu einer Nierenbeteiligung kommt, d.h. zu einer Albuminurie (und/oder Hämaturie). Eine chinesische Studie, die Ende April im Journal of the American Society of Nephrology (JASN) publiziert wurde, kam zu dem Ergebnis, dass die Nierenbeteiligung bei COVID-19-Patienten das Outcome der neuartigen Viruserkrankung dramatisch verschlechtert und die Mortalität um den Faktor 10 erhöht (1,25 % der Patienten ohne Nierenbeteiligung verstarben vs. 11,2 % der Patienten mit Nierenbeteiligung). Bislang war nur das Auftreten eines akuten Nierenversagens (AKI) als unabhängiger Prädiktor für die Mortalität bekannt, doch wie es scheint, sind bereits frühe Zeichen einer Nierenbeteiligung wie eine Proteinurie, Hypoproteinämie sowie ein erdiedrigtes Antithrombin III prognostisch bedeutsam.
Diese Erkenntnis machte sich ein nephrologisches Forscherteam der Universitätsmedizin Göttingen zunutze und entwickelte einen Therapiepfad, um anhand der Nierenwerte Risikopatienten für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung zu stratifizieren und frühzeitig intensiv zu behandeln. Der Handlungspfad wurde am 6. Mai in The Lancet als Korrespondez publiziert, eine große Beobachtungsstudie, an der sich mehrere Universitätskliniken beteiligen, ist angelaufen.
„Unsere Kernparameter zur Risikoeinschätzung sind Eiweiß im Blut, Eiweiß im Urin und Serum-Antithrombin-III – bereits zwei dieser drei Parameter erhöhen das Risiko der Patienten relevant, intensivpflichtig zu werden“, erklärt Prof. Dr. Oliver Gross, Klinik für Nephrologie und Rheumatologie der Universitätsmedizin Göttingen. Diese Erkenntnis habe auch therapeutische Konsequenz: Eine Hypoalbuminämie kann zu einem onkotisch bedingten Lungenödem führen, ein Mangel an Antithrombin-III zu Thrombembolien wie den gefürchteten Lungenembolien. Beide lebensbedrohlichen Krankheitsbilder kennt jeder Nephrologe von Patienten mit nephrotischen Syndrom. „Durch eine prophylaktische Therapie können wir diesen beiden Komplikationen, die viele COVID-19-Patienten das Leben kosten, gezielt entgegenwirken, und zwar durch eine Entwässerungstherapie sowie durch eine intensivierte Antikoagulation“, so der Göttinger Nierenexperte weiter. Es sei daher von höchster Wichtigkeit, diese Nierenwerte gleich bei Diagnose der COVID-19-Erkrankung mit zu erheben.
„Die Nieren sind demnach ein empfindlicher Seismograf und erlauben eine frühzeitige Vorhersage des COVID-19-Verlaufs“, erklärt Prof. Dr. Julia Weinmann-Menke, Mainz, Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN). „Derzeit nimmt der Untersucher bei Abstrichentnahme und Anamneseerhebung, wenn überhaupt, nur eine Auskultation vor. Der Patient wird dann bei Beschwerdefreiheit nach Hause geschickt. Selbst bei einem positiven Ergebnis wird gewartet, bis sich Beschwerden einstellen. Dabei wissen wir, dass sich bei Patienten mit schweren Verläufen die Beschwerden oft plötzlich einstellen und innerhalb weniger Stunden dramatisch werden können. Wir verpassen bei diesen Patienten das Zeitfenster für eine frühzeitige Intervention.“
Die DGfN macht sich dafür stark, die drei Nierenwerte in die COVID-19-Basisdiagnostik aufzunehmen, sobald die neu aufgelegte Studie die Parameter validiert hat. „Wir hoffen auf eine schnelle Durchführung und Auswertung der Studie, nach Möglichkeit vor einer zweiten großen Infektionswelle, die viele Virologen im Herbst erwarten. Die Diagnostik der Nierenparameter ist unaufwändig und wenig kostenintensiv. Die Patienten, die keine Veränderungen der Nierenwerte aufweisen, könnten beruhigt abwarten und die Viruserkrankung zu Hause auskurieren, die anderen könnten engmaschig beobachtet und prophylaktisch behandelt werden, bevor sich schwere Organversagen einstellen. Dieses Vorgehen könnte viele Leben retten“, erklärt DGfN-Pressesprecherin Prof. Weinmann-Menke. „Die Nephrologie leistet mit dieser Studie einen wichtigen Beitrag für die SARS-CoV-2-Erforschung und wir hoffen, dass ihr Ergebnis einen Meilenstein für die COVID-19-Therapie darstellen wird.“
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN).
Bildquelle: Mike Szczepanski, unsplash