Von Zellversuchen zu ersten klinischen Studien – in weniger als drei Monaten. Frankfurter Wissenschaftler haben neue Wirkstoffe gegen SARS-CoV-2 ausfindig gemacht. Dazu zählt auch 2-DG.
Wie SARS-CoV-2 menschliche Zellen verändert, konnte jetzt ein Team aus Biochemikern und Virologen der Goethe-Universität und des Universitätsklinikums Frankfurt beobachten. Dabei testeten die Wissenschaftler eine Reihe von Wirkstoffen in Modellversuchen im Labor, von denen einige die Vermehrung des Virus verlangsamten oder stoppten.
Die Ergebnisse, die jetzt in Nature erschienen sind, ermöglichen es, die Suche nach einem Wirkstoff auf eine geringe Anzahl bereits zugelassener Medikamente zu fokussieren. Ausgehend von diesen Ergebnissen bereitet ein US-amerikanisches Unternehmen eigenen Angaben zufolge einen Wirkstoff für eine klinische Studie vor. Mit einem weiteren Wirkstoff startet ein kanadisches Unternehmen bereits eine klinische Studie.
Seit Anfang Februar verfügt die Medizinische Virologie des Universitätsklinikums Frankfurt über ein Zellkultur-Modell für SARS-CoV-2. Aus Abstrichen zweier infizierter Rückkehrer aus Wuhan gelang den Wissenschaftlern um Prof. Sandra Ciesek die Anzucht des Virus in einer Darmzelllinie (Hoehl et al. NEJM 2020). Mit einer speziellen Technik, die am Institut für Biochemie der Goethe-Universität entwickelten wurde, konnten Forscher jetzt erstmals zeigen, wie das SARS-CoV-2-Virus die Wirtszelle verändert. Die Wissenschaftler nutzten dazu eine besondere Form der Massenspektrometrie, die so genannte mePROD-Methode. Mit ihr lässt sich die Menge und Herstellungsrate von tausenden Proteinen bestimmen, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zelle befinden.
Die Ergebnisse zeichnen ein Bild vom Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion: Während viele Viren die reguläre Proteinproduktion ihres Wirts zugunsten viraler Proteine herunterfahren, beeinflusst SARS-CoV-2 die Proteinproduktion der Wirtszellen nur wenig – die viralen Proteine scheinen in Konkurrenz zu den Proteinen der Wirtszelle hergestellt zu werden. Stattdessen scheint der Virus zur Erhöhung der Proteinsynthesemaschinerie zu führen. Die Forscher vermuteten, dass dies ein Schwachpunkt sein könnte und konnten tatsächlich mit Hemmstoffen der Proteinproduktion (Translationsinhibitoren) die Vermehrung des Virus deutlich mindern.
24 Stunden nach der Infektion verursacht das Virus markante Änderungen in der Zusammensetzung der Wirtszellproteine: Während der Cholesterinstoffwechsel reduziert wird, steigen die Aktivitäten im Kohlehydrat-Stoffwechsel und in der Herstellung von RNA zur Proteinproduktion an. Entsprechend konnten die Wissenschaftler die Virus-Vermehrung in den kultivierten Zellen erfolgreich mit Hemmstoffen gegen diese Prozesse stoppen. Ähnlich erfolgreich war der Einsatz eines Wirkstoffes, der die Produktion neuer Bausteine für virales Erbgut hemmt.
Zu den Wirkstoffen, die in der Frankfurter Zellkultur die Virusvermehrung stoppten, zählt unter anderem 2-Deoxy-D-Glukose (2-DG), der direkt in den für die Virusvermehrung notwendigen Kohlehydrat-Stoffwechsel eingreift. Das US-amerikanische Unternehmen Moleculin Biotech verfügt über einen Wirkstoff namens WP1122, der 2-DG ähnlich ist, ein Prodrug. Ausgehend von den Ergebnissen der Frankfurter Wissenschaftler bereitet Moleculin Biotech eigenen Angaben zufolge diesen Wirkstoff bereits für klinische Studien vor.
Auf Basis eines weiteren der in Frankfurt getesteten Wirkstoffe, Ribavirin, startet jetzt das kanadische Unternehmen Bausch Health Americas eine klinische Studie mit 50 Probanden.
Dr. Christian Münch vom Institut für Biochemie sagt: „Dank der von uns entwickelten mePROD-Technologie konnten wir den Verlauf der Virusinfektion im Labor erstmals detailliert verfolgen. Wir waren uns natürlich der potenziellen Tragweite unserer Ergebnisse bewusst, auch wenn diese in der Zellkultur erzeugt wurden und weiter getestet werden müssen. Dass unsere Ergebnisse nun womöglich in weiterführende in vivo-Studien zur Medikamentenentwicklung münden, ist sicherlich ein großer Glücksfall.“ Auch unter den darüber hinaus getesteten Hemmstoffen, so Münch, gebe es weitere potenziell interessante Kandidaten, die zum Teil sogar bereits für andere Indikationen zugelassen seien. Prof. Ivan Dikic, Direktor des Instituts für Biochemie II, kommentiert: „Das Projekt wurde vor nicht einmal drei Monaten begonnen und offenbart schon jetzt neue therapeutische Ansätze bei COVID-19.“
„Der erfolgreiche Einsatz von Wirkstoffen gegen SARS-CoV-2, die Bestandteile von bereits zugelassenen Medikamenten sind, ist eine große Chance für die Bekämpfung des Virus. Solche Wirkstoffe sind bereits gut charakterisiert, und wir wissen, wie sie von Patienten vertragen werden. Daher wird derzeit weltweit nach solchen Wirkstoffen gesucht. Im Wettlauf mit der Zeit kann unsere Arbeit einen wichtigen Beitrag dazu liefern, in welche Richtungen diese Suche die schnellsten Erfolge verspricht“, sagt Prof. Jindrich Cinatl vom Institut für Medizinische Virologie.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Goethe Universität Frankfurt am Main.
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