Hamburger Rechtsmediziner haben bei Autopsien von Corona-Toten Thrombosen festgestellt. Könnten Antikoagulantien bei der Therapie von COVID-19 helfen?
Über den Ablauf einer COVID-19-Erkrankung ist immer noch wenig bekannt. Um mehr über das Krankheitsbild zu erfahren, haben Hamburger Pathologen und Rechtsmediziner zahlreiche Obduktionen an Corona-Toten durchgeführt. Erste Ergebnisse legen sie jetzt in einer Studie vor, die im Fachmagazin Annals of Internal Medicine veröffentlicht wurde.
Darin analysieren die Hamburger die Befunde von 12 obduzierten Patienten, die infolge einer Infektion mit SARS-CoV-2 verstorben waren. Zum Todeszeitpunkt waren die Obduzierten zwischen 52 und 87 Jahren alt, 9 von ihnen waren männlich, der Tod trat im überwiegenden Teil der Fälle im Krankenhaus ein. Bei 50 % der Toten lagen koronare Herzkrankheiten und Asthma, bei 25 % eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) vor.
Bei 7 der 12 Toten wurde im Rahmen der Autopsie eine Thrombose festgestellt, die vor Eintreten des Todes nicht entdeckt worden war. An einer Lungenembolie verstarben 4 der untersuchten Corona-Toten. Die Hamburger stellten außerdem fest, dass in den meisten Fällen die Hirne der Verstorbenen entzündlich verändert waren und spezielle Formen der Lungenentzündung mit Gewebseinblutungen vorlagen. Hohe Titer viraler RNA waren bei einigen Toten neben der Lunge auch in weiteren Organen wie der Leber, der Niere und dem Herz nachweisbar. Selbst auf der Netzhaut wiesen die Pathologen das Virus nach.
Die wichtigste Erkenntnis der Studie: Die Gabe von Antikoagulantien wie Heparin könnte entscheidend bei der Therapie von COVID-19 helfen. Prof. Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin des UKE, betonte die Bedeutung dieser Auswertung im Gespräch mit ARD Extra: „Die Ergebnisse von den Rechtsmedizinern hier aus Hamburg haben uns doch umgehauen. Denn mehr als 50 % hatten Beinvenenthrombosen beidseits, ein Drittel der Patienten hatte tödliche Lungenembolien […]. Das war für uns in der Ausprägung und Relevanz neu und ist dramatisch für uns.“
Auch eine US-amerikanische Studie, die am gleichen Tag im Journal of the American College of Cardiology erschien, weist jetzt auf eine Gabe von Antikoagulantien als vielversprechende Behandlungsmethode bei COVID-19 hin. Prof. Klaus Püschel, Facharzt für Rechtsmedizin und Institutsdirektor am UKE, erwähnt gegenüber ARD Extra, dass die Behandlungsleitlinien schon enstprechend angepasst seien. Für die akute Nephritis, die ebenfalls als Warnzeichen für schwere Verläufe von COVID-19 erkannt wurde, gibt es zum Beispiel einen ersten Handlungspfad der Universität Göttingen.
Rund 170 Corona-Tote haben Püschel und sein Team in den vergangenen Wochen am Hamburger Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) obduziert. Das sind mehr als in jedem anderen Bundesland. Man habe viel aus der Auswertung der Daten lernen können, erkenne das Krankheitsbild inzwischen besser und habe mehr Erfahrungen gesammelt, so Püschel. Die zweite Corona-Welle werde daher kein Tsunami.
Der Rechtsmediziner hatte bereits früh auf die enorme Bedeutung von Autopsien für den Wissensgewinn rund um Corona hingewiesen. Die anfängliche Haltung des Robert-Koch-Instituts (RKI), von Obduktionen an Corona-Toten abzuraten, versteht er nicht. „Dass Aerosole uns gefährden, wissen wir und deswegen haben wir spezielle Absaugeinrichtungen und deswegen benutzen wir entsprechende Schutzkleidung. Das ist für einen Pathologen oder Rechtsmediziner ja selbstverständlich“, sagte Püschel in ARD Extra.
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