Zu Beginn der Coronakrise machte man sich noch Hoffnung, dass wärmere Temperaturen im Sommer einen entscheidenden Effekt auf die weitere Ausbreitung des Virus haben könnte, ähnlich wie bei der Grippe: In Gebieten mit Temperaturen über 25 °C verbreitet sich das Grippevirus nachweislich deutlich langsamer als in kühleren Gegenden.
Die Hypothesen scheinen einige Studien auch zu bestätigen: Infektiologen stellten in einer Analyse fest, dass Regionen mit lokalen Ausbrüchen eine niedrigere Durchschnittstemperatur und eine niedrigere spezifische Luftfeuchtigkeit aufwiesen im Vergleich zu Gebieten, die keine so hohe Ansteckungsrate aufwiesen. Eine aktuelle Studie der Harvard University kommt mit ihrer Analyse zu einem ähnlichen Ergebnis: Je höher die Temperatur und Luftfeuchtigkeit, desto niedriger die Reproduktionszahl. Ausgewertet haben sie dazu knapp 3.800 Orte in verschiedenen Regionen der Welt.
Doch Wissenschaftler machen in The Lancet jetzt erneut darauf aufmerksam, dass Klima- und Wetterbedingungen bei der Verbreitung des Coronavirus wohl nur eine untergeordnete Rolle spielen. Denn SARS-CoV-2 fühlt sich offenbar in allen klimatischen Zonen wohl und nicht nur in gemäßigten Breiten. Das zeigten zuerst die Ausbrüche in heiß-tropischen Gebieten in Asien und jetzt im Corona-Hotspot Brasilien, wo sich das Virus derzeit rasant ausbreitet. In den besonders stark betroffenen Städten Manaus und Rio de Janeiro herrscht ebenfalls tropisch-heißes Klima.
Laut der Forscher sollten Risikoeinschätzungen für das Coronavirus, die allein auf Klimainformationen basieren, mit Vorsicht interpretiert werden. Andere Faktoren seien bei der Ausbreitung viel wichtiger, etwa wie dicht eine bestimmte Region besiedelt ist oder wie mobil die Menschen innerhalb einer Region sind. Das einzig verlässliche Mittel, um die Ausbreitung zu stoppen, seien nach wie vor soziale Distanzierungsmaßnahmen – man könne sich nicht auf wärmere Temperaturen verlassen.
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