Kritisch-kranke COVID-19-Patienten werden derzeit in Kanada testweise mit einem Dialyseverfahren behandelt. Dabei werden weiße Blutkörperchen modifiziert.
Zur Behandlung von COVID-19-Patienten setzt ein Team des Lawson Health Research Institute erstmals auf ein modifiziertes Dialyse-Gerät. Bei dem neu entwickelten Verfahren wird das Blut des Patienten vorsichtig entfernt, im Anschluss werden die weißen Blutzellen modifiziert und kehren in den Blutkreislauf zurück, um die Hyperinflammation zu bekämpfen. Erste Erkenntnisse wurden nun in einer Pressemitteilung des Lawson Health Research Institute veröffentlicht. Außerdem haben wir direkt bei Forschungsleiter Dr. Chris McIntyre nachgehakt. Der Ansatz wird gerade im Rahmen einer Studie getestet.
Die Studienautoren gehen davon aus, dass SARS-CoV-2 bei den meisten Patienten mit schwerem COVID-19-Verlauf eine überschießende Immunantwort in Form eines Zytokinsturms auslöst. Behandlungsmöglichkeiten sind zur Zeit limitiert, deshalb testet das kanadische Forscherteam nun das Dialyseverfahren.
„Da ich auf der Intensivstation arbeite, war mir klar, dass es mehr Behandlungsoptionen braucht, um es mit COVID-19 aufzunehmen“, sagt McIntyre, Studienleiter und Nephrologe am London Health Sciences Centre (LHSC) in der Pressemitteilung. „Das führte zur Idee, das Blut der Patienten außerhalb des Körpers zu behandeln. Wir können die weißen Blutzellen, die mit der Entzündung assoziiert sind, umprogrammieren, um die Immunantwort zu verändern.“ DocCheck News hat McIntyre per Mail zum Prozedere befragt, um mehr über die Methode zu erfahren. So konzentriert sich das Forscherteam auf Monozyten. Wenn sie das zirkulierende Blut verlassen, entwickeln sich aus ihnen gewebetypische Makrophagen, die zum MPS gehören.
Die Experten setzen auf eine abgeänderte Version eines Standard-Dialysators, den sie „extracorporeal leukocyte modifying device“ nennen. Das Gerät entnimmt das Blut in deutlich langsamerer Geschwindigkeit aus dem Kreislauf als übliche Geräte. Das Blut durchläuft einen Prozess, bei dem spezifische biochemische Komponenten zum Einsatz kommen. Dabei werden die weißen Blutzellen, die mit der Entzündung assoziiert sind, transformiert, bevor sie wieder in den Kreislauf zurück entlassen werden. Die Hoffnung: Diese umprogrammierten Zellen sollen die Entzündung in betroffenen Organen wie der Lunge bekämpfen, anstatt sie zu begünstigen.
„Wir haben die konventionelle Dialyse-Ausstattung sowie unsere üblichen Protokolle zur Blutgerinnung umfunktioniert. Hier gibt es kaum Hürden, da Equipment und Medikamente bereits etabliert sind. Unsere Behandlung ist ein wenig anders, aber im Grunde ist das, was man dafür braucht, für jeden zugänglich, der im Stande ist, eine Nieren-Dialyse durchzuführen“, erklärt uns McIntyre.
Die laufende randomisierte kontrollierte Studie umfasst 40 kritisch-kranke Patienten mit COVID-19, die im Victoria Hospital and University Hospital des LHSC in Behandlung sind. Die Studienteilnehmer erhalten randomisiert entweder eine Standardbehandlung oder eine Standardbehandlung kombiniert mit dem neu entwickelten Dialyseverfahren. Die Ergebnisse sollen dann gegenübergestellt werden, um zu sehen, wie effektiv der neue Ansatz tatsächlich ist.
„Das ultimative Ziel ist es, die Überlebenschance der Patienten zu verbessern und ihre Abhängigkeit von Sauerstoff und Beatmung zu reduzieren“, erklärt McIntyre im Pressebericht. Und ergänzt im Interview mit uns: „Die neue Methode könnte geeignet sein, um einen pharmakologischen Ansatz zu ergänzen. Speziell Patienten mit klinischer Verschlechterung und Tendenz zu einem hyperinflammatorischen Status trotz medikamentöser Behandlung könnten profitieren.“ Sollte der Ansatz effektiv sein, könne es also möglich sein, die Behandlung mit anderen Therapien zu kombinieren. Während ein antivirales Medikament die Viruslast reduziert, könnten außerdem entzündliche Nebenwirkungen reguliert werden.
Auf unsere Frage, welche COVID-Patienten sich für die spezielle Dialyse eignen und welche nicht, antwortet McIntyre: „Das muss erst noch festgestellt werden. Zunächst liegt der Fokus auf jenen Patienten mit Anzeichen für einen hyperinflammatorischen Status, der eine Aufnahme auf die Intensivation erfordert. Des Weiteren konzentriert man sich in der Pilotenstudie auf jene, die eine mechanische Kreislaufunterstützung benötigen. Im Wesentlichen sind es die kränksten Patienten mit extrem niedriger Überlebenschance.“
Sollte sich die Behandlung als erfolgreich herausstellen, könnte sie womöglich auch für die Therapie anderer Erkrankungen bzw. einer Sepsis in Frage kommen.
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