Anfang November will der Deutsche Bundestag ein Gesetz zur Suizidbeihilfe verabschieden. Es liegen vier Entwürfe vor, die vom völligen Verbot bis zur weitgehenden Freigabe reichen. Auch die Ärzte sind sich uneins, ob die Suizidassistenz mit ihrem Berufsethos vereinbar ist.
Für Hippokrates war die Sache noch klar: „Auch werde ich niemandem ein tödliches Gift geben, auch nicht, wenn ich darum gebeten werde, und ich werde auch niemanden dabei beraten.“ So steht es im Eid des Hippokrates, den zwar heute niemand mehr leisten muss, der aber immer noch gerne als ethische Richtlinie herangezogen wird. Dass die ärztliche Beihilfe zum Freitod ein komplexes Thema ist, zu dem sich sehr unterschiedlich Stellung beziehen lässt, zeigt die aktuelle Bundestagsdebatte um ein Gesetz zur Suizidbeihilfe. Die vier zur Abstimmung stehenden Gesetzesentwürfe spiegeln verschiedene Positionen wider.
Im „Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung“ fordert die Abgeordnetengruppe um Dr. Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger (beide CDU), das Strafrecht zu verschärfen, um sowohl die Anstiftung als auch die Beihilfe zum Suizid unter Strafe zu stellen. Ausnahmen für Ärzte oder Angehörige soll es nicht geben. 35 Abgeordnete unterstützen diesen restriktivsten der vier Gesetzesentwürfe.
Der fraktionsübergreifende „Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ der Abgeordnetengruppe um Michael Brand (CDU/CSU) und Kerstin Griese (SPD) zielt darauf, die geschäftsmäßige, d. h. auf Wiederholung angelegte Beihilfe zur Selbsttötung zu verhindern. Betroffen wären sowohl Vereine und Organisationen wie „Sterbehilfe Deutschland“ als auch Einzelpersonen, die mit oder ohne gewerbsmäßige Absicht Suizidbeihilfe anbieten. Der Gesetzesentwurf hat 200 Unterstützer, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe. Auch der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Frank Ulrich Montgomery, und der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) sprechen sich für diesen Gesetzesentwurf aus. Allerdings hat der Wissenschaftliche Dienst (WD) des Bundestages verfassungsrechtliche Bedenken am Begriff „Geschäftsmäßigkeit“ geäußert: Insbesondere sei nicht klar, ob sich „in einer dem Bestimmtheitsgebot genügenden Weise zweifelsfrei ergibt, ob und unter welchen Voraussetzungen sich Ärzte, die im Rahmen ihrer Berufstätigkeit Sterbehilfe leisten, strafbar machen“.
Beim „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz)“ von der Abgeordnetengruppe um Peter Hintze (CDU/CSU), Dr. Carola Reimann (SPD) und Dr. Karl Lauterbach (SPD) geht es um eine zivilrechtliche Regelung der ärztlichen Suizidbeihilfe. Hierzu soll im Bürgerlichen Gesetzbuch ein grundsätzliches Verbot der Suizidbeihilfe verankert werden, Ärzten soll sie aber unter bestimmten Bedingungen ausdrücklich erlaubt sein. Dazu gehört, dass der volljährige Patient an einer unheilbaren, tödlichen Krankheit leidet und zuvor über alternative, insbesondere palliativmedizinische Möglichkeiten aufgeklärt wurde. 107 Abgeordnete unterstützen diesen Gesetzesentwurf. Auch in diesem Fall hat der WD Kritik geübt, und zwar hinsichtlich der Bundesgesetzgebung: Es gebe nämlich keine verfassungsrechtliche Grundlage dafür, dass das geplante Gesetz in die landesrechtlichen Berufsausübungsregelungen für Ärzte eingreife.
Der liberalste Vorschlag mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung“ stammt von der Abgeordnetengruppe um Renate Künast (Grüne) und Dr. Petra Sitte (Linke). Der Gesetzesentwurf sieht vor, nur die kommerzielle Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe zu stellen, ansonsten soll die Suizidassistenz aber straffrei bleiben. Vereine und Organisationen sollen demnach Suizidbeihilfe leisten dürfen, wenn sie nicht gewerbsmäßig handeln. Der Gesetzesentwurf hat 53 Unterstützer. Die Gutachter des WD geben allerdings zu bedenken, dass sich bei diesem Entwurf „bereits durch die allgemeine ärztliche Vergütung ein gewerbsmäßiges Handeln einer dann auch daran anschließenden (strafbaren) Suizidhilfe der Ärzte ergeben könnte“.
Während die Parlamentarier sich in den folgenden Wochen intensiv mit den vier Entwürfen befassen werden, hat auch die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) zu den einzelnen Positionen Stellung bezogen – und unterstützt schlussendlich keinen der Vorschläge. Vielmehr sei eine Strafrechtsänderung aus Sicht des DGHO-Vorstands gar nicht wünschenswert, denn mit einem neuen Gesetz würde Ärzten und Patienten gemeinsamer Freiraum genommen: „Bei der ärztlich assistierten Selbsttötung ist es gut, wenn der Staat in einer so individuellen und mit Not behafteten Situation den Raum für Gewissensentscheidungen offen lässt. Wir haben großes Vertrauen, dass die Ärzte hier verantwortlich handeln“, erläutert Prof. Mathias Freund, geschäftsführender Vorsitzender der DGHO. Aus diesem Grund fordert die DGHO, sich auf drängendere Aspekte der Sterbebegleitung zu konzentrieren. Dazu gehören beispielsweise eine Verbesserung der palliativmedizinischen Versorgung und ein Ausbau der Hospize sowie mehr Hilfestellungen für Ärzte bezüglich des Umgangs mit Extremsituationen am Lebensende. Zudem dürfen nach Meinung der DGHO Ärzte nicht zur Hilfestellung bei der Selbsttötung verpflichtet werden – ein solcher Akt solle immer eine individuelle Gewissensentscheidung sein. Außerdem sei es notwendig, das berufsrechtliche Verbot der ärztlichen Hilfe zur Selbsttötung an das geltende Strafrecht anzupassen.
Gerade das Verbot des assistierten Suizids im ärztlichen Berufsrecht spaltet jedoch die Ärzteschaft. Dem Strafrecht nach ist die Lage klar: Beihilfe zur Selbsttötung ist ebenso wie der Suizid selbst nicht strafbar – weder bei Ärzten noch bei jedem anderen Bürger. Trotzdem sieht die Musterberufsordnung der BÄK ein Verbot vor. Dieses ist aber nur in 10 der 17 Landesärztekammern umgesetzt, sodass es in diesen 10 Kammerbezirken Ärzten berufsrechtlich verboten ist, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. Angesichts eines solchen rechtlichen Flickenteppichs ist es kein Wunder, dass auch unter den Ärzten keine einhellige Meinung herrscht: In einem im Mai veröffentlichten offenen Brief kritisierten 180 Ärzte unter der Führung von Dr. Uwe-Christian Arnold – der kürzlich für DocCheck an einer Diskussion zum Thema „Assistierter Suizid“ teilgenommen hatte – die Bevormundung durch BÄK-Präsident Montgomery in ethischen Entscheidungen und äußerten die Meinung, dass die Freitodbegleitung keineswegs dem ärztlichen Berufsethos widerspricht. Es sei vielmehr „nicht nur ethisch vertretbar, sondern hilfreich und human, einen schwerstleidenden Patienten nicht im Stich zu lassen, der sich wohlinformiert zum Suizid entschlossen hat“.
Als Reaktion initiierten Dr. Eckhard Piegsa und Prof. Paul Cullen einen weiteren offenen Brief, den bisher mehr als 350 Ärzte unterzeichnet haben. Darin stellen sich die Verfasser klar hinter BÄK-Präsident Montgomery und das von ihm vertretene ärztliche Selbstverständnis, dass Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe sei. Vielmehr bestehe die Aufgabe der Ärzte darin, „das Leid unserer Patienten zu lindern und ihnen mitmenschlichen Beistand, Zuwendung und Fürsorge entgegenzubringen. Auf keinen Fall dürfen wir uns dafür hergeben, Leidende zu beseitigen, indem wir Beihilfe zum Suizid leisten“. Bis der Bundestag im November eine Entscheidung getroffen hat, wird sich am ärztlichen Berufsrecht auch nichts ändern. Montgomery erklärte hierzu: „Das werden wir hinterher machen, wenn wir die endgültige Gesetzesfassung kennen. Möglicherweise ergibt sich daraus auch noch anderer Handlungsbedarf für uns.“ Bis dahin gibt es noch reichlich Diskussionsbedarf – unter Abgeordneten wie Ärzten. Während man sich hierzulande noch gegenseitig beharkt, blüht in Schweizer Gefilden derweilen ein regelrechter Suizid-Tourismus.