Die Prognose bei Glioblastomen ist schlecht. Eine alternative Behandlungsmethode weckt neue Hoffnungen. Dabei werden die Tumoren mit „Wechselstromhauben“ behandelt. Ist die Studienlage hier ähnlich kontrovers wie bei Methadon?
Mit einer Inzidenz von 2,9 bis 3,5 Neuerkrankungen pro Jahr und 100.000 Personen zählen Glioblastome zu den häufigsten bösartigen Tumoren im Gehirn. Therapiestandard ist – falls möglich – eine Resektion des Tumors. Im Anschluss erhalten Patienten eine Radio-Chemotherapie mit Temozolomid. Trotz aller Anstrengungen liegen die relativen Fünf-Jahres-Überlebensraten für bösartige Tumoren des Zentralen Nervensystems laut Robert Koch-Institut bei 20 Prozent für Männer und 23 Prozent für Frauen. Glioblastome schneiden mit Werten unter zehn Prozent deutlich schlechter ab. .
Wissenschaftler schlagen seit Jahren vor, die leitliniengerechte Behandlung durch sogenannte Tumortherapiefelder (TTfields, TTF) zu ergänzen. Das sind elektrische Wechselfelder geringer Energie mit Frequenzen zwischen 50 und 200 kHz. Über eine Haube mit Gelpads gelangen die Wellen durch die Schädeldecke und weiter zum Tumor. Dabei sollten TTF dauerhaft, sprich mindestens 18 bis 20 Stunden am Tag, zum Einsatz kommen. Der Applikator selbst wird mit Akkus versorgt und lässt sich auch unterwegs mitnehmen. Ein Video des Herstellers zeigt wichtige Schritte bei der Therapie:
Das klingt erstmal vielversprechend – so auch die erste Pilotstudie im Jahr 2007. Bei zehn Patienten zeigten Forscher, dass sich das progressionsfreie Überleben mit TTF von 26,1 auf 62,2 Wochen verlängert. 2011 gab die US Food and Drug Administration (FDA) grünes Licht, um Patienten mit Rezidiv zu behandeln. Nach dieser Euphorie verlief eine Phase-3-Studie mit 237 Patienten deutlich ernüchternder. Alle Teilnehmer hatten ein rezidiviertes Glioblastom. Sie erhielten randomisiert Chemotherapie oder TTF. In beiden Gruppen unterschieden sich das progressionsfreie Überleben (2,1 versus 2,2 Monate) und die Gesamtüberlebenszeit (6,0 versus 6,6 Monate) nicht statistisch signifikant. Ende 2015 präsentierten Forscher vorläufige Ergebnisse einer weiteren Phase-3-Studie. Roger Stupp von der Universität Zürich rekrutierte zusammen mit Kollegen 695 Patienten mit Glioblastom. Sie erhielten nach Abschluss ihrer Radiochemotherapie entweder TTF plus Temozolomid (n = 466) oder Temozolomid allein (n = 229). Dabei wurden die elektromagnetischen Felder mehr als 18 Stunden pro Tag angelegt. Onkologen verabreichten Temozolomid jeweils fünf Tage bei 28-tägigen Zyklen. Die Studie wurde auf der Grundlage der Ergebnisse einer geplanten Zwischenanalyse mit 38 Monaten Nachbeobachtungszeit beendet. Zu diesem Zeitpunkt lagen Daten von 210 Patienten (Kombination) beziehungsweise 105 Patienten (nur Chemotherapie) vor. Das progressionsfreie Überleben lag bei 7,1 versus 4,0 Monaten. Beim medianen Gesamtüberleben geben die Autoren 20,5 versus 15,6 Monate an. Die FDA erweiterte daraufhin die Indikation auf Erstlinientherapien. Vor wenigen Monaten publizierte Roger Stupp vom Lurie Comprehensive Cancer Center in Chicago die Endauswertung. Unter TTF plus Temozolomid vergingen im Mittel 6,7 Monate bis zur Progression, unter Temozolomid waren es 4,0 Monate. Als medianes Gesamtüberleben gibt Stupp 20,9 versus 16,0 Monate an. Weitere Unterschiede ergaben sich beim Zwei-Jahres-Überleben (43 versus 31 Prozent) und beim Fünf-Jahres-Überleben (13 versus 5 Prozent). Sollten Ärzte angesichts dieser Zahlen nicht auch in Deutschland TTF als Erstlinientherapie einsetzen?
In einer Stellungnahme bewertet die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) den Benefit deutlich vorsichtiger. „Wir sehen in den TTF Potenzial; möglicherweise sind sie eine sinnvolle Behandlungsergänzung“, sagt Professor Dr. Uwe Schlegel, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum. „Für eine abschließende Bewertung ist jedoch eine vom Hersteller der Geräte unabhängige Studie wichtig.“ Genau diese Herstellerunabhängigkeit erweist sich laut DGN-Informationen als Schwachpunkt. Patienten standen in direktem Kontakt mit Firmenvertretern, was einem Bias Tür und Tor öffnet. Schlegel: „Viele Kollegen sehen die TTF kritisch, haben Zweifel an der Auswahl der Patienten in der aktuellen Studie und halten es für möglich, dass nicht die Methode selbst, sondern die zusätzliche Betreuung in der Studie die Unterschiede in der Überlebensdauer erklären könnte.“ Methodische Schwächen kommen noch hinzu. Es gab keine Gruppe mit Chemotherapie plus Scheinintervention, etwa Elektroden ohne Wechselfeld. Auch die massive Berichterstattung blieb nicht ohne Folgen. In manchen Behandlungszentren wünschen sich 20 Prozent aller Betroffenen das TTF-System. Jedes Gerät schlägt mit monatlich etwa 23.000 Euro pro Patient zu Buche. Mehrere Kassen übernehmen die Kosten.
Ähnlich kontrovers ist die Sachlage bei Methadon als möglichem Wirkverstärker von Chemotherapien. DocCheck widmete sich mehrfach des Themas, zuletzt Ende 2017. Jetzt gibt es neue, immer noch kontroverse Erkenntnisse. Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) untersuchten L-Methadon plus Temozolomid in vitro. Sie verwendeten vier unterschiedliche Glioblastom-Zelllinien. Methadon allein zeigte keine Reaktion. Zusammen mit dem Wirkstoff fand das Team nur bei einer Zelllinie schwach wirkverstärkende Effekte. Im Unterschied zu früheren Studien arbeitete das Team mit Therapien (Temozolomid statt Doxorubicin) und Zelllinien, die näher am klinischen Alltag sind. Statt D,L-Methadon als Gemisch von Bild und Spiegelbild verwendeten sie L-Methadon. Alles in allem blieb ihr Experiment enttäuschend. „Diese aktuellen Daten widerlegen die Hypothese, dass Methadon beim Glioblastom die Wirkung einer Chemotherapie in der Zelle verstärkt“, fasst Schlegel zusammen. Professor Dr. Wolfgang Wick, Direktor der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum Heidelberg, vermutet, dies liege an fehlenden Rezeptoren in Krebszellen. Diese Sichtweise teilt Dr. Claudia Friesen vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Ulm nicht. Sie hat durch eigene Arbeiten maßgeblich zum „Methadon-Hype“ beigetragen. Ihre Kritikpunkte:
Bleibt als Fazit: Ohne weitere Forschungsprojekte bewerten viele Neurologen TTF oder Methadon als Wirkverstärker eher kritisch.