Wissenschaftler sind optimistisch: Mithilfe des Abwassers könnte uns bald ein Frühwarnsystem für einen erneuten Anstieg der Corona-Fallzahlen zur Verfügung stehen. Wie soll das funktionieren?
Das Abwasser soll wertvolle Informationen über die Zirkulation von SARS-CoV-2 in der Bevölkerung bieten. Anhand der Konzentration des Virus im Wasser lässt sich feststellen, ob nur vereinzelt Menschen infiziert sind oder bereits sehr viele. Außerdem könnte sich der Nachweis von SARS-CoV-2 im Abwasser als Frühwarnsystem für einen erneuten Anstieg der Corona-Infektionen eignen, da man erkennen kann, ob die Zahl der Infizierten zu- oder abnimmt. Das ließe sich sogar früher feststellen als durch Abstrich-Analysen der Bevölkerung. Das lassen zumindest Studien vermuten.
Dass das Frühwarnsystem funktionieren könnte, hat kürzlich erstmals eine Studie des niederländischen Wasserforschungsinstituts KWR gezeigt. Darin heißt es, dass erste Spuren des Virus bereits vier Tage vor dem ersten ärztlichen Nachweis einer Infektion nachgewiesen werden konnte. Als die Wissenschaftler ihre Analyse im Februar in sieben Städten starteten, war zunächst noch kein Virus im Abwasser nachweisbar. Dabei analysieren sie die Wasserproben aus dem Klärwerk mittels RT-PCR-Methode.
Auch in der Schweiz untersucht man das Abwasser auf das Vorhandensein von SARS-CoV-2 hin. Forscher der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag) sowie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) haben dazu Proben aus 12 Schweizer Kläranlagen entnommen. Noch gibt es allerdings keine Veröffentlichung der Ergebnisse.
Laut einer Pressemitteilung der Eawag sind in den neueren Proben die Viren-Konzentrationen sehr hoch, doch sogar in Abwasserproben von Ende Februar mit den ersten bekannten Fällen von Infektionen in der Schweiz wurden Viren entdeckt. „Die erfolgreiche Detektion von tiefen Virenkonzentrationen zu einer frühen Zeit des Ausbruchs sollte es möglich machen, rückwirkend die Kurve des Covid-19-Anstiegs zu rekonstruieren“, heißt es in der Mitteilung.
Der Vorteil der Abwasser-Methode gegenüber einem Bevölkerungs-Screening mittels Rachen-Abstrich ist, dass man damit auch Viruspartikel von infizierten Menschen auf die Spur kommt, die sich wegen milder oder fehlender Symptome nicht testen lassen. Außerdem lässt sich die Infektionslage in einer Stadt oder im Land kontiniuerlich abschätzen, da die Ausscheidungen von Hunderttausenden täglich untersucht werden können. Einer der Autoren der Schweizer Studie meint dazu in der Pressemitteilung: „Werden die Proben rasch analysiert, könnte ein Wiederanstieg von Infektionen während des Exits aus dem Lockdown wohl früher erkannt werden als über klinische Tests bei den Betroffenen.“
Anhand der Konzentration des Virenerbguts im Abwasser könnte man also auf die Zahl der Infizierten in der Bevölkerung schließen. Allerdings fehlen noch wichtige Erkenntnisse, um die Methode praktisch anwenden zu können. Unklar ist zum Beispiel, wie hoch die Menge an Viruspartikeln in Urin und Fäkalien beim Menschen ist. In vielen Studien wird berichtet, dass sich bei weniger als der Hälfte der Patienten überhaupt Viruspartikel im Stuhl nachweisen lassen. Unklar ist auch, wie lange sich das Virus im Abwasser hält.
Bezüglich der Infektiösität von Viruspartikeln im Abwasser kann man noch keine klare Aussage treffen. In einer anderen niederländischen Veröffentlichung, die im Lancet erschienen ist, warnen die Autoren vor möglichen gesundheitlichen Risiken für Mitarbeiter von Kläranlagen. Das Umweltbundesamt erklärt hingegen in einer Stellungnahme: „Bisher gibt es nach Angaben der WHO keine Hinweise darauf, dass SARS-CoV-2 über den Wasserweg übertragen wird.“
Die Berliner Charité hat zudem in einer kleinen Studie festgestellt, dass Viruspartikel, die im Stuhl gefunden wurden, nicht infektiös sind – sie lassen sich in Zellkultur nicht vermehren.
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