Kanadische Gesundheitsbehörden sind nicht länger bereit, exorbitant hohe Kosten für Eculizumab (Soliris®) zu tolerieren. Jetzt fährt Alexion juristisches Geschütz auf. Der Disput zeigt einmal mehr, wie schwierig die Preisfindung ist. Tragfähige Lösungen sucht man vergebens.
Hochpreiser mit einem Herstellerabgabepreis von mehr als 1.200 Euro entwickeln sich als zunehmendes Problem für Gesundheitssysteme weltweit. Dazu ein Blick auf Deutschland: Im letzten Jahr gingen ein Viertel aller GKV-Ausgaben auf das Konto extrem teurer Präparate. Hinsichtlich der abgegebenen Packungszahlen gehörte nur jedes 290. Gebinde in diese Rubrik. Viele Länder reagieren auf entsprechende Herausforderungen mit unterschiedlichen Maßnahmen.
Aktuellstes Beispiel ist Eculizumab (Soliris®) von Alexion Pharmaceuticals. Der monoklonale Antikörper kommt bei Patienten mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie zur Anwendung, einer erworbenen Erkrankung blutbildender Stammzellen. Dabei entstehen defekte CD59-Proteine auf der Oberfläche von Blutzellen, und Erythrozyten werden vom Komplementsystem zu schnell abgebaut. Eculizumab verlangsamt den Prozess durch Inaktivierung eines Proteins im Komplementsystem. Off-Label wird Eculizumab beim hämolytisch-urämischen Syndrom eingesetzt – viele Kollegen erinnern sich noch an EHEC-Infektionen großen Ausmaßes Mitte 2011. Soviel zur Theorie. Mit jährlichen Kosten von 400.000 Euro, in den USA sind mindestens 500.000 Dollar fällig, gilt Eculizumab als teuerster Arzneistoff weltweit. Kanadische Medien berichten sogar von 700.000 Dollar an Kosten. Bleibt anzumerken, dass der Antikörper Patienten nicht heilt – ein großer Unterschied zum Hochpreiser Sofosbuvir (Sovaldi®). Soliris® muss in vielen Fällen regelmäßig verabreicht werden.
In Kanada erstatten Versicherungen Soliris® nicht. Trotzdem hat das Patented Medicine Prices Review Board jetzt eingegriffen und Gespräche mit Alexion aufgenommen, um den Preis nach unten zu korrigieren. Ein Kritikpunkt ist, dass der Konzern unterschiedliche Kosten je nach Land ansetzt, obwohl sich die Wirtschaftssysteme nicht großartig voneinander unterscheiden. Alexion geriet augenscheinlich unter Druck und hat den kanadischen Staat verklagt – mit Hinweis auf das Recht, Preise selbst festzulegen. Das erstaunt Analysten kaum – Soliris® brachte dem Hersteller innerhalb von acht Jahren mehr als sechs Milliarden Dollar ein. Weitere Goldesel sucht man beim Hersteller vergebens. Jetzt droht die Geldquelle zu versiegen. Amir Attaran, Professor für Gesundheitsrecht in Ottawa, sagte, Alexion würde Behörden herausfordern. Er spricht von einer „großen Bedrohung für [die] Preisgestaltung von Arzneimitteln in Kanada“. Der Konzern äußerte sich bislang nicht dazu.
Soliris® ist kein Einzelfall. Wie die US Food and Drug Administration (FDA) berichtet, befassen sich forschende Hersteller immer häufiger mit Pharmaka gegen seltene Erkrankungen. Die Zahl an Zulassungsanträgen hat sich in 2014 verdoppelt, verglichen mit Zahlen aus 2004. Dahinter stecken mehrere Gründe: vereinfachte, teils finanziell unterstützte Zulassungsverfahren, keine Fallstricke durch Vergleichstherapien – und letztlich die Gelegenheit, Preise auf dem internationalen Markt frei festzulegen. Alternativtherapien fehlen in den meisten Fällen.
Unter den Hochpreisern sind aber nicht nur Präparate gegen seltene Erkrankungen zu finden, wie ein Fall aus Indien zeigt. Vor zwei Jahren hat Novartis den Patentstreit um Imatinib (Glivec®) endgültig verloren. Der Wirkstoff erfülle nicht die indischen Patentregeln, schrieben oberste Richter als Begründung. Laut indischem Recht werden nur Arzneistoffe mit erhöhter therapeutischer Wirksamkeit geschützt: eine Strategie gegen das beliebte „Evergreening“. Der Staat hat längst Gesetze verabschiedet, um einen Patentschutz unter bestimmten Bedingungen abzulehnen. Jetzt fallen die Preise – zuvor waren etwa 2.600 US-Dollar pro Monat fällig. Anderen Konzernen erging es nicht besser: Bayer konnte Zwangslizenzen für Sorafenib (Nexavar®) nicht verhindern. Mit richterlicher Rückendeckung produzieren Generikahersteller auch ohne Zustimmung des Patenthalters das Präparat.
Deutschlands Politikern sind derart rigide Methoden fremd. Grundsätzlich habe sich das mit dem AMNOG eingeführte Zusammenspiel von Nutzenbewertung und anschließenden Preisverhandlungen bewährt, so Annette Widmann-Mauz (CDU) angesichts der Sovaldi®-Preisdiskussion. Die Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium betonte, man werde am Prinzip festhalten. Uwe Deh, ehemals geschäftsführender Vorstand des AOK-Bundesverbands, sieht jedoch eklatante Defizite. Viele Hersteller missbrauchten die Tatsache, dass sie den Preis für ein neues Arzneimittel im ersten Jahr nach Einführung selbst bestimmen können. Hohe Preise im ersten Jahr würden das Gesetz auf elegante Weise aushebeln, so Deh weiter. Er fordert, dass nach der frühen Nutzenbewertung ausgehandelte Erstattungspreise rückwirkend für die ersten zwölf Monate gelten müssten.
Es geht aber nicht nur um das Gesundheitssystem im Großen und Ganzen. Hochpreiser sind auch Risikofaktoren für Health Professionals. Ärzte fürchten Regresse der GKVen, sollten sie zu viele innovative Hochpreiser abgeben. Und bei Apotheken kann der Bezug entsprechender Medikamente schnell zu Liquiditätsengpässen führen, speziell bei kurzen Zahlungszielen des Herstellers im Direktbezug. Retax-Gefahren kommen mit hinzu. Beide Berufsgruppen tragen immense Risiken.