Coronabedingte Hamsterkäufe sind auch in der Apotheke ein Problem. Sie bringen die Pharma-Branche zunehmend in Schwierigkeiten.
„In den letzten Wochen mussten wir über unser gesamtes Portfolio hinweg die zum Teil dreifache Bestellmenge bewältigen“, erklärte das Pharmaunternehmen Teva gegenüber der dpa. Die Nachfrage bei rezeptfreien Arzneien sei im März vor allem bei Paracetamol-haltigen Mitteln und Vitaminpräparaten viel höher gewesen als sonst. Stada berichtet vor allem von einem Run auf Präparate zur Behandlung von Erkältungen (plus 50 Prozent) und auf Immunstimulanzien (plus 300 Prozent). Und GlaxoSmithKline berichtet von einem Ansturm auf Nasensprays, Nasentropfen und Mittel gegen Halsschmerzen. Beim Absatz gebe es Zuwächse zwischen 30 und 40 Prozent.
Damit nicht genug: Die Empfehlung „Stay at Home“ nahmen gerade ältere, chronisch kranke Menschen wörtlich. Sie bunkerten Rezepte, um dann Praxen fernzubleiben. Auch Krankenhäuser verschoben planbare Eingriffe und sahen sich plötzlich mit Unmengen leerer Betten konfrontiert. Das alles blieb nicht ohne Folgen für den Rx- und den OTC-Markt.
IQVIA, ein globaler Anbieter von Analytik, Technologien und klinischer Auftragsforschung für Life-Science-Unternehmen, analysiert regelmäßig den Arzneimittelmarkt. Dazu gehören Wochenreporte, um die Folgen für COVID-19 auf den Arzneimittelmarkt besser zu verstehen, siehe Grafiken unten.
Seit Beginn des Jahres bis jetzt zeigt der deutsche Rx-Markt rückläufige Trends (minus 2,3 Prozent), während Consumer-Health-Produkte um 2,5 Prozent zulegen. Zu Consumer Health gehören OTCs in Apotheken, aber auch Produkte in Drogerien.
Wie IQVIA herausfand, gab es im Januar 2020, verglichen mit Januar 2019, nur geringfügige Abweichungen bei Rx-Verordnungen. Am 22. März 2020 (Kalenderwoche 12) einigten sich Bund und Länder auf weitreichende Maßnahmen zur Einschränkung sozialer Kontakte. Kurz zuvor hatte das Robert Koch-Institut die bislang höchste Zahl an SARS-CoV-2-Neuinfektionen gemeldet. Auch die saisonale Grippewelle erreichte in Woche 12 recht spät ihr Maximum.
Gleichzeitig schoss der Absatz an Rx-Packungen je nach Indikation um 40 bis 100 Prozent nach oben, verglichen mit dem Absatz aus 2019. Kurz darauf kam es zum Einbruch. In Kalenderwoche 15 sank der Absatz um rund 13 bis 31 Prozent. Zwischen Woche 1 und Woche 15 fällt vor allem ein Zuwachs bei Krebstherapien (plus 8,3 Prozent), Dermatologika (plus 6,1 Prozent) und neurologischen Arzneimittel auf (plus 3,5 Prozent), wobei der Effekt schwer zu deuten ist und auch nicht mit SARS-CoV-19 in Zusammenhang stehen muss.
Quelle: IQVIA
Auf den Lockdown bereiten sich Kunden vor, indem sie OTCs und sonstige frei erhältliche Gesundheitsprodukte bunkern. Auch hier kommt die späte Grippewelle 2019/2020 als weitere Erklärung mit ins Spiel.
Ab Woche 9 beginnt – verglichen mit Zahlen aus 2019 – der Absatz anzusteigen. Ein Maximum wird in Woche 12 erreicht. Das betrifft vor allem OTC-Arzneimittel (rund 65 Prozent Zuwachs), aber auch Produkte zum persönlichen Schutz wie Atemmasken oder Inkontinenzprodukte (rund 40 Prozent Zuwachs).
Zwischen Woche 1 und Woche 15 ging der OTC-Absatz vor allem bei Hautpflegeprodukten (plus 20 Prozent) und Nahrungsergänzungsmitteln inklusive Stimulanzien des Immunsystems nach oben (plus 14 Prozent). Im Bereich der Patient Care-Produkte (insgesamt plus 4,0 Prozent) sorgt vor allem die persönliche Schutzausrüstung für einen Zuwachs (plus 21,0 Prozent).
(CH: Consumer Health; OTC: OTC-Medikamente; PEC: Personal Care; PAC: Patient Care; NTR: Nutrition)
Solche Trends bestätigt die ABDA, die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände: Ausgaben für Arzneimittel ohne Impfstoffe gingen im März 2020, verglichen mit März 2019, steil nach oben: um 25,0 Prozent auf nunmehr 3,84 Milliarden Euro. „Im März hat sich die Corona-Pandemie mit voller Wucht auf die Arzneimittelversorgung in Deutschland ausgewirkt“, sagt Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV). „Die Monate Januar 2020 und Februar 2020 blieben mit Ausgabensteigerungen zwischen 5,0 und 6,0 Prozent in einer Größenordnung, die wohl auch ohne Corona so eingetreten wäre.“
Noch ein Blick auf die Details. Im März nahm die Zahl an GKV-Verordnungen um 13,7 Prozent auf 44 Millionen zu. Bei der Zahl abgegebener Packungen ist ein Plus von 18,8 Prozent zu verzeichnen; absolut waren es im März 71 Millionen Gebinde. Den Analysen wurden im März nicht nur mehr Medikamente, sondern auch größere Packungen (etwa N3 statt N1 oder N2) verordnet. „Erste Marktdaten für April zeigen allerdings stark rückläufige Arzneimittelumsätze“, erklärt Becker. „Das lässt darauf schließen, dass neben einer umfangreichen Akutversorgung auch viele chronisch kranke Patienten reguläre Arztbesuche mit Folgeverschreibungen vorgezogen haben.“ Sprich: Viele chronisch kranke Menschen haben sich vor Beginn der Pandemie gut eingedeckt.
Auch bei den Ausgaben für Impfstoffe ging es steil nach oben. Im März 2020 lagen die GKV-Kosten für Vakzine bei 153 Millionen. Das sind 43,6 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Details werden in der Analyse nicht genannt; Pneumokokken-Vakzine spielen vermutlich eine Rolle. Sie werden bei Risikopatienten als Maßnahme gegen bakterielle Pneumonien empfohlen.
Im gesamten ersten Quartal mussten GKVen hier 375 Millionen Euro berappen. Das sind 28,3 Prozent mehr als im ersten Quartal 2019.
Bleibt als Fazit: Die Corona-Pandemie wird in nächster Zeit vor allem den Generikamarkt beeinflussen. Eine Datenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) listet derzeit 444 Pharmaka, die nicht oder nur schwer verfügbar sind. Das ist an und für sich nicht neu. Nur sitzen ein China einige wichtige Hersteller von Arzneistoffen.
„Grundsätzlich zeigt sich durch die Corona-Krise noch einmal verschärft, dass die Verlagerung von Produktion nach Asien die Lieferketten anfälliger macht“, sagt Dr. Kai Joachimsen vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Noch seien Europa und Deutschland bevorzugte Standorte für die pharmazeutische Industrie. „Aber Überregulierungen und wirtschaftliche Eingriffe, die den Preisdruck gerade im generischen Segment stark erhöhen, zwingen Unternehmen dazu, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern oder sich auf Importe zu verlassen.“ Das betrifft vor allem Generika.
Auch die Rabattverträge stehen in der Kritik. „Solange Generikapreise von rund sechs Cent für eine Tagesdosis möglich sind, werden Anbieter aus dem Markt aussteigen“, erklärt Joachimsen. „Und wenn es immer weniger Anbieter gibt, können diese im Fall von Lieferengpässen die fehlenden Kapazitäten nicht ausgleichen.“ Einem Gutachten zufolge fordert der BPI drei Änderungen an Rabattverträgen:
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn beginnt, mit seinem Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz langsam nachzubessern. Zusammen mit der Regierung hat er Meldepflichten bei versorgungsrelevanten Arzneistoffen beschlossen. Auch können Behörden künftig Vorgaben zur Lagerhaltung erteilen, und zwar gegenüber Herstellern beziehungsweise Großhändlern. Und fehlen rabattierte Arzneimittel im GKV-Bereich, können Apotheken einfacher höherpreisige Alternativen abgeben. Dies geht dann zu Lasten der Krankenkasse. Warten wir, das in den nächsten Monaten passieren wird.
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