Ein dichtes Netzwerk aus Neutrophilen-DNA soll bei COVID-19 eine wichtige Rolle spielen. Diese sogenannten NETs könnten auch als Marker für die Schwere des Krankheitsverlaufs dienen.
Bei NETs handelt es sich um Netzwerke extrazellulärer Fasern, die primär aus DNA neutrophiler Granolozyten bestehen. Sie werden bei Infektionen freigesetzt, allerdings kann eine Fehlregulation auch Entzündungsreaktionen verstärken und Thrombosen auslösen. In ihrer Studie beschäftigten sich die Autoren nun mit der Frage, ob NETs auch bei Infektionen mit SARS-CoV-2 eine Rolle spielen.
Dazu untersuchten sie Serumproben von 50 stationär behandelten COVID-19-Patienten auf Marker für NETs. Hierzu zählen die Konzentration von zellfreier DNA, Myeloperoxidase-DNA-Komplexen (MPO-DNA) und citrulliniertem Histon H3 (Cit-H3). Verglichen wurden diese Parameter mit den Werten von Serumproben 30 gesunder Personen.
Die Analysen ergaben, dass in den Serumproben der mit SARS-CoV-2 infizierten Patienten alle drei Parameter erhöht waren, wobei eine signifikante Korrelation zwischen MPO-DNA und freier DNA festgestellt werden konnte. Nicht signifikant hingegen war die Korrelation zwischen zellfreier DNA und Cit-H3. Zudem konnten die Forscher in Versuchen eine NETose in gesunden Neutrophilen auslösen, die zur Kontrolle mit Seren von COVID-19 Patienten versetzt wurden.
Weitere Hinweise auf eine Rolle von NETs bei COVID-19 ergaben sich, laut der Forscher, aus einer positiven Korrelation zwischen Markern für NETs und weiteren Entzündungs- und Thrombosemarkern wie C-reaktives Protein (CRP), D-Dimer, Lactatdehydrogenase sowie mit der absoluten Neutrophilen- und Thrombozytenzahl. Es zeigte sich, dass die Konzentration zellfreier DNA stark positiv mit allen anderen Parametern, außer der Thrombozytenzahl, korrelierte. Die MPO-DNA korrelierte zudem ebenfalls stark mit der absoluten Neutrophilenzahl. Cit-H3 hingegen zeigte lediglich eine starke Korrelation zur Zahl der Thrombozyten.
Auch stellten die Forscher einen Vergleich der Parameter von Patienten an, die mit Hydroxychloroquin oder ohne diese Substanz behandelt wurde. Hier konnten allerdings keine Unterschiede festgestellt werden.
Die Ergebnisse der Wissenschaftler deuteten, wie sie angeben, darauf hin, dass es einen möglichen Zusammenhang zwischen der Höhe der Serum-NETs und dem Schweregrad von COVID-19 geben könnte. Demnach waren die Werte für zellfreie DNA und MPO-DNA in Patienten, die mechanisch beatmet wurden, signifikant erhöht. Bei diesen Patienten konnte indes keine Erhöhung für die Anzahl der Neutrophilen sowie für Cit-H3 festgestellt werden.
Darüberhinaus schreiben die Autoren, dass schwere Verläufe von COVID-19 durch eine Neutrophilie sowie durch erhöhte Werte von Interleukin-1β (IL-1β), Interleukin-6 (IL-6) und D-Dimer gekennzeichnet zu sein scheinen. All diese Befunde würden ein bedeutendes Potenzial für Wechselwirkungen mit NETs aufweisen. So stünden NETs in Verbindung mit IL-6 sowie IL-1β bei kardiovaskulären und pulmonalen Erkrankungen. Und es gebe auch zahlreiche Beispiele für die Entstehung von Thrombosen in Zusammenhang mit NETs. Deshalb sei es denkbar, dass eine Wechselwirkung zwischen NETs und Thrombozyten, auch bei der COVID-19-assoziierten mikrovaskulären Thrombose, eine kritische Rolle spielen könnte, so die Wissenschaftler.
Die Forscher schlussfolgern, dass eine SARS-CoV-2-Infektion, zumindest bei hospitalisierten Patienten die Ausbildung von NETs fördern könnte. Die Ursachen der NETose bei COVID-19 sind allerdings, so die Forscher, bisher noch unbekannt und erfordern weitere Untersuchungen. Es könnten beispielsweise geschädigte Epithelzellen, aktivierte Thrombozyten, aktivierte Endothelzellen sowie inflammatorische Zytokine als Auslöser in Frage kommen.
Auch waren die Autoren nach eigenen Angaben überrascht, dass sich keine starke Korrelation zwischen Cit-H3 und den anderen Markern nachweisen ließ, wohl aber eine mit den Thrombozytenzahlen. Sie äußern die Vermutung, dass es verschiedene Signalwege geben könnte, die eine NETose auslösen, wobei der Weg, der für Cit-H3 eine Rolle spielt, möglicherweise mit Thrombozyten in Verbindung stehen könnte.
Auf Einschränkungen ihrer Studie weisen die Autoren ebenfalls hin. So sollte beachtet werden, dass Neutrophile relativ kurzlebig sind und ihr Zelltod über verschiedene Signalwege induziert werden kann. Deshalb könnten Marker wie die Laktatdehydrogenase, zellfreie DNA und Cit-H3 auch durch den Tod neutrophiler Zellen erhöht sein und somit nicht direkt mit der NETose in Verbindung stehen.
Andererseits sei es auch möglich, dass NETs in den Seren der Probanden mit der Zeit teilweise abgebaut und deshalb die Messungen beeinträchtigt wurden, weil die Proben zunächst für klinische Untersuchungen verwendet wurden. Auch unklar sei, ob die gefundenen NET-Reste wirklich zu einem schwereren Krankheitsverlauf bei COVID-19 führten oder lediglich eine Folge der akuten Entzündungen waren, an denen die Patienten litten.
Die Forscher hoffen dennoch, dass ihre Ergebnisse weitere Forschungen über die Rolle von NETs bei COVID-19 anregen. Im nächsten Schritt sollten zukünftige Studien sich, ihrer Meinung nach, auf die Vorhersagekraft zirkulierender NETs konzentrieren. Zudem sollten Wissenschaftler auch weiterhin verschiedene Marker für NETs in ihre Analysen einbeziehen, nicht zuletzt aufgrund der Dichotomie der jetzigen Ergebnisse.
Nach Angaben der Wissenschaftler könnten antineutrophile Therapien Teil einer personalisierten Strategie für Patienten darstellen, die ein besonderes Risiko für das Fortschreiten von COVID-19 und für ein Atemversagen haben. Erste Daten einer kleinen Studie aus China, bei der Dipyridamol, ein Adenosin-Rezeptor-Antagonist, zur Behandlung verwendet wurde, hätten bereits eine potenzielle Wirksamkeit bei COVID-19 gezeigt. Und eigene Daten der Forscher hätten zuvor schon ergeben, dass dieser Wirkstoff auch die Bildung von NETs durch Aktivierung der Adenosin-A2A-Rezeptoren hemmt.
Quelle: © Yu Zuo et al. / JCI
Bild: © Bicanski / pixnio