Es gibt viele Faktoren, die einen schweren Verlauf von COVID-19 begünstigen. Einer davon: die Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht.
Die ersten Fallberichten aus China gingen mit folgender Beobachtung einher: Männer scheinen schwerer von COVID-19 betroffen zu sein als Frauen. Ende Januar beschrieben chinesische Forscher in einer Veröffentlichung, dass 75 % der 168 verstorbenen SARS-CoV-2-Patienten männlich waren. Ein ähnliches Bild ergaben auch weitere Studien aus China. Bisherige Begründungen sind rein spekulativ.
Ursprünglich wurde vermutet, dass ein Grund für den Geschlechter-Unterschied darin begründet läge, dass unter den Chinesen deutlich mehr Männer als Frauen Raucher seien. Rauchen führt zu einer vermehrten Expression des Oberflächenproteins ACE2 in Lungenepithelzellen– dem Protein mit dessen Hilfe das Coronavirus in die Zellen gelangt, um sie zu infizieren.
Dies könnte dazu führen, dass das Rauchen die Zellen der Lunge anfälliger für das Coronavirus macht. Hua Cai von der University of California berichtet jedoch im rennomierten Journal The Lancet, dass dies unwahrscheinlich sei, da unter den COVID-19-Patienten in China nur zwischen 1,6 % und 12,6 % angaben zu rauchen, der Gesamtanteil an männlichen Rauchern in China jedoch über 50 % betrage.
Gegen diese These spricht außerdem, dass auch in anderen Ländern, in denen es ähnlich viele männliche und weibliche Raucher gibt, Männer schwerere COVID-19-Verläufe aufweisen als Frauen. In einer italienischen Studie waren unter den 1.591 COVID-19-Patienten, die auf Intensivstationen versorgt wurden, 82 % Männer. In einer amerikanischen Studie lag der männliche Anteil der über 4.000 SARS-CoV-2-infizierten New Yorker Patienten bei 63 %. Frauen scheinen sich zwar genauso häufig mit dem Virus zu infizieren, jedoch mit milderem Verlauf.
Auch bei den vergangenen Coronavirus-Ausbrüchen SARS und MERS waren Männer häufiger von schweren Verläufen betroffen. Dieser Unterschied ist aber nicht generell bei Atemwegsinfektionen zu beobachten.
Einer weiteren These liegt das weibliche Immunsystem als potentieller Grund zugrunde. „Es gibt erhebliche Unterschiede im Immunsystem von Frauen und Männern, welche den Verlauf einer Infektionskrankheit bedeutend beeinflussen“, so Immunologe Philip Goulder aus Oxford im New Scientist. Viele für das Immunsystem wichtige Gene sitzen auf dem X-Chromosom. So auch jenes, welches für das Transmembranprotein TLR-7 codiert. Dieser Rezeptor detektiert einzelsträngige RNA-Viren wie Coronaviren. Normalerweise liegt bei Frauen jeweils eines der beiden X-Chromosomen in der Zelle inaktiviert als Barr-Körper vor. Interessanterweise ist dies aber bei manchen Immunzellen für das TLR-7-Gen nicht der Fall, weshalb Frauen mehr von diesem Rezeptor exprimieren.
„Bei Frauen ist auf vielen Immunzellen dieses Protein in doppelter Anzahl zu finden, weshalb die Immunantwort auf Coronaviren bei ihnen verstärkt ist“, erklärt Philip Goulder. Auch die Sexualhormone Östrogen und Progesteron haben Einfluss auf die Immunantwort, für SARS-CoV-2 gibt es jedoch hierzu noch keine Untersuchungen.
Männer haben außerdem im Alter eine höhere Wahrscheinlichkeit für Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes sowie Herz- Kreislauferkrankungen. Dies alles sind auch prädisponierende Faktoren für einen schwereren COVID-19-Verlauf. Die Autoren der bereits erwähnten New Yorker Studie rechneten für ihre Untersuchungen diese Faktoren heraus – und der Geschlechtsunterschied war nicht mehr signifikant.
Abgesehen von den biologischen Unterschieden kommen auch Abweichungen im Verhalten als Gründe infrage. Legen Frauen im Durchschnitt einfach mehr Wert auf Hygiene? Laut Kunihiro Matsushita von der Johns Hopkins Universität halten Frauen sich öfter an Grundregeln der Hygiene wie z.B. regelmäßiges Händewaschen. Eine chinesische Studie zu Geschlechterunterschieden fand heraus, dass männliche COVID-19-Patienten häufiger Co-Infektionen mit anderen Viren und Bakterien aufwiesen. Auch das könnte den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen.
Die genauen Gründe dafür, dass Männer deutlich häufiger schwere oder gar tödliche COVID-19-Verläufe zeigen als Frauen, sind noch nicht gefunden. Sicherlich ist dieses jedoch ein interessantes Forschungsgebiet, welches in den nächsten Jahren weitere wichtige Erkenntnisse bereithalten wird.
Bildquelle: Clem Onojeghuo, unsplash