Kaum ein Forschungsprojekt wäre ohne öffentliche Gelder denkbar. Mit den Resultaten machen aber Verlage ein Vermögen, während Forscher und Ärzte ohne akademische Anbindung den Zugriff auf aktuelle Arbeiten verlieren. Jetzt formiert sich Widerstand.
Niederländischen Wissenschaftlern platzte der Kragen. Nachdem Elsevier nicht bereit war, Open Access, sprich die freie Veröffentlichung wissenschaftlicher Resultate, zu unterstützen, formulierten sie einen Boykottaufruf. Kollegen sollen für den Verlag nicht mehr als Editor in Chief beziehungsweise als Reviewer tätig werden und Publikationen anderweitig platzieren. Kein Einzelfall: Anfang 2015 hat die Uni Leipzig Verhandlungen mit Elsevier abgebrochen. Als Grund nannten Hochschulvertreter die „deutlich überzogenen Preisvorstellungen“. Auch die Uni Konstanz musste zu ähnlichen Maßnahmen greifen. Elsevier steht aufgrund seiner aggressiven Preispolitik seit Jahren am Pranger. Die ETH Zürich berappte in 2014 rund 3,5 Millionen Franken nur für Publikationen dieses Verlages, gefolgt von Wiley (1,5 Millionen Franken) und Springer (knapp eine Million Franken). Alle Beteiligten fordern Open Access als Lösung.
Entsprechende Tendenzen zeichnen sich schon länger ab. Seit den 1990er-Jahren schrumpften Etats wissenschaftlicher Bibliotheken drastisch. Gleichzeitig veröffentlichten Forscher mehr und mehr Fachartikel. Ihre Möglichkeiten, sich über Arbeiten aus dem Kollegenkreis zu informieren, verschlechterten sich. Ärzte ohne akademische Anbindung waren besonders betroffen, falls sie sich über aktuelle Entwicklungen informieren wollten. Der Kritikpunkt: Nahezu jede Forschungseinrichtung erhält öffentliche Gelder. Erkenntnisse sollen der Allgemeinheit, speziell anderen Labors oder Medizinern, zugutekommen. Stattdessen nehmen Bibliotheken Steuergelder in die Hand, um Nutzungsrechte zu erwerben. Später kam als Forderung mit hinzu, eigene Veröffentlichungen über Netzwerke wie ResearchGate zu teilen respektive zu diskutieren.
Als eigentliche Geburtsstunde von Open Access gilt die Budapest Open Access Initiative (BOAI). „Frei zugänglich im Internet sollte all jene Literatur sein, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne Erwartung, hierfür bezahlt zu werden, veröffentlichen“, heißt es im Text. Ein Jahr später folgte das Bethesda Statement on Open Access Publishing. In Deutschland verständigten sich namhafte Einrichtungen auf die Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen. Mittlerweile kristallisieren sich verschiedene Strategien heraus. Als „goldener Weg“ gilt jede Veröffentlichung in Open-Access-Medien mit Peer-Review-Verfahren. Eine Übersicht ist im Directory of Open Access Journals (DOAJ) zu finden. Viele Wissenschaftler gehen nach wie vor den „grünen Weg“. Sie veröffentlichen Preprints ohne Review oder Postprints mit Review. Institutionelle Repositories ersetzen dabei einzelne Homepages – und bieten zum Artikel gleich Primärdaten an: Experten zufolge der beste Schutz gegen wissenschaftliches Fehlverhalten. Nicht über den Buchhandel erhältliche „graue Literatur“ wie Bachelor- oder Masterarbeiten, Dissertationen oder Tagungsbände geht über ähnliche Wege in das Netz.
Trotzdem wollten sich Verlage nicht vom Goldesel Wissenschaft verabschieden. Sie haben umgehend neue Geschäftsmodelle entwickelt. Zwei Beispiele: BioMed Central (BMC) veröffentlicht über 200 Open-Access-Zeitschriften aus Medizin oder Biologie. Jeder Fachbeitrag durchläuft umfangreiche Peer-Review-Verfahren. Forscher tragen alle Kosten („Author-Pays-Modell“), nicht Bibliotheken. Ähnlich arbeitet die Public Library of Science (PLOS) mit ihren Journalen PLOS Biology, PLOS Medicine, PLOS Computational Biology, PLOS Genetics, PLOS Pathogens, PLOS Neglected Tropical Diseases und PLOS ONE. Daneben setzen sich „hybride Modelle“ durch. Vor wenigen Wochen hat beispielsweise Springer mit dem österreichischen Bibliothekskonsortium eine Vereinbarung paraphiert. Ab 2016 dürfen Wissenschaftler in Journalen des Konzerns publizieren, ohne sich Gedanken über mögliche Kosten zu machen. Gleichzeitig erhalten sie Lesezugriff auf rund 2.000 Springer-Zeitschriften. Eine ähnliche Vereinbarung gilt seit 2014 mit niederländischen Unis; in Deutschland und in Großbritannien laufen Verhandlungen.
Über Jahre hinweg haben sich Open Access-Journals als ernstzunehmende Medien gemausert. Ihre Impact-Faktoren unterscheiden immer weniger von der etablierten Konkurrenz, hat eine Studie gezeigt. Herrscht jetzt eitel Sonnenschein? Keineswegs – John Bohannon von der Harvard University sieht vor allem Nachholbedarf beim Peer-Review-Verfahren. Ende 2013 mailte er einen offensichtlich falschen Beitrag an 304 Open-Access-Zeitschriften – 157 hätten sein Paper veröffentlicht. Neben wissenschaftlichen Sorgen bleiben ökonomische Zwänge. Welcher Forscher darf beim „Author-Pays-Modell“ publizieren, sollten Gelder eines Instituts für alle Kollegen zu knapp bemessen sein? So oder so fließen Steuergelder erneut an Verlage. Verglichen mit klassischen Journals ist der Obolus aber deutlich niedriger. Open Access gilt als richtungsweisende Strategie, wobei die Community noch etliche Fragen klären muss.