Die Corona-Pandemie verschärft viele Probleme, auch in der Palliativmedizin. Wenn ich die Empfehlungen einiger Apothekerverbände zu Morphinpräparaten sehe, wird mir übel vor Angst.
Ich bin im Grunde kein ängstlicher Mensch und habe die Corona-Krise bisher mit meiner meist pragmatischen Sicht der Dinge recht ruhig betrachtet. Die Probleme bei der Beschaffung und Bereitstellung von Medikamenten, Impfstoffen, Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln haben mich meist eher wütend gemacht, denn wir sind sehenden Auges in diese Krise geschlittert.
Viele Experten haben seit Jahren den Ausverkauf der europäischen Pharmaindustrie beklagt und das systematische Auslagern an das Ausland, wo die Wirkstoffe billiger hergestellt werden können. Wie genau die Billigpreise zustande kommen, nämlich durch das mit-Füßen-treten der Gesundheit der Umwelt und der Menschen, die dort leben, war immer egal. Hauptsache billig, so wie immer. Die Hand des Marktes regelt alles – wir sehen jetzt, wohin wir damit gekommen sind.Ein Paracetamol-Engpass und wahrscheinlich früher oder später auch ein Antibiotika-Engpass durch die Exporteinschränkungen durch Indien – selbstverschuldet. Probleme bei der Beschaffung von Mundschutzen, Handschuhen und Desinfektionsmitteln – selbstverschuldet. Das Nichtbeachten der eigenen Ergebnisse von Pandemie-Planspielen – selbstverschuldet.
Auch das andauernde Hin- und Herlavieren in Bezug auf Vorschriften und Anweisungen gehen mir wahnsinnig auf die Nerven. Zuerst kommen die „Fake-news“, dass Ibuprofen bei einer Coronainfektion gefährlich sei, und alle Experten fangen an zu beruhigen. Dann hört man plötzlich nach einigen Tagen von der WHO, „In der Zwischenzeit raten wir, eher Paracetamol als Ibuprofen zu nehmen.“, und inzwischen sind wir wieder auf dem Stand, dass doch Ibuprofen genommen werden darf (vielleicht auch nur deshalb, weil es gerade nicht genügend Paracetamol gibt?).
Zuerst hieß es noch, dass die Apotheken schließen müssen, wenn ein Mitarbeiter an Corona erkranken sollte, inzwischen hat sich auch das geändert. Wenn wir mit Mundschutz arbeiten würden, dann wäre auch ein geöffnet-lassen der Apotheke in Ordnung (weil sie Angst um die Versorgung der Bevölkerung haben?).
Auch die Sache mit dem Mundschutz lief ja nicht anders: Zuerst verlachte man noch alle Menschen die mit Mundschutz herumliefen. Die Behörden sagten ja auch gebetsmühlenartig, dass Mundschutze unter FFP3 völlig nutzlos wären (es gab ja auch keine). Jetzt, wo Deutschland angefangen hat am Zoll Mundschutze zu annektieren und sie auch ärmeren Ländern von Mittelsmännern mit geldgefüllten Aktenkoffern in China direkt vor den Fabriken vor der Nase wegkauft (wenn die USA nicht schneller waren) sieht das anders aus. Es wurden Mundschutze beschafft, und auf einmal liest man überall, wie wahnsinnig sinnvoll das auf einmal sei, einen zu tragen. Die Apotheken sollen sogar auf einmal ihren Bedarf melden, um damit für die Angestellten beliefert zu werden.
Für die nicht in sytemrelevanten Berufen arbeitende Bevölkerung genügt übrigens inzwischen auch ein textiler Schutz. Für wie blöd werden wir eigentlich gehalten? Ich würde mir am Liebsten inzwischen sämtliche Aussagen „von oben“, sprich vom RKI oder der WHO per Screenshot speichern, denn langsam komme ich mir schon beinahe vor, als leide ich unter einer Wahrnehmungsverzerrung.
Zuerst hieß es ja auch, eine gute Handhygiene und Husten- und Niesetikette reichen aus, um die Infektionskette nicht noch zu verlängern, inzwischen genügt offenbar schon ein „Anatmen“ oder das ganz normale Gespräch mit Erkrankten, um selbst zu erkranken. Da inzwischen offenbar extrem viele Ärzte und Pflegepersonal erkrankt sind, scheinen ja sogar die Schutzmasken und die Ganzkörperanzüge nicht zu genügen.
Was mir tatsächlich aber die Tränen in die Augen getrieben hat diese Woche ist die Empfehlung einiger Landesapothekerverbände, dass sich die Apotheken auf einen erhöhten Bedarf an Morphinpräparaten für schwer an Covid-19 erkrankte Patienten in der ambulanten Versorgung einstellen sollen. Es wird damit gerechnet, dass etwa 20 % der Patienten Morphiumpräparate benötigen und dennoch nicht in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Was das bedeutet, muss ich wohl nicht ausführen. Auch andere Medikamente zur „palliativmedizinischen Sedierung“ sollen wir uns zulegen.
Soviel zur offiziellen Verlautbarung „von oben“, dass wir hier angeblich gut gerüstet sind. Wenn wir schon dazu übergehen, im Vorfeld zu planen, schwer erkrankte Personen nicht mehr in ein Krankenhaus zu bringen, sondern lieber von Hausarzt ruhigspritzen lassen, damit sie das Ende nicht zu schwer erleben, dann wird es mir kotzübel vor Angst. Ich will mir nicht vorstellen, von wem ich auf diese Weise in diesem Jahr Abschied nehmen muss.
Bildquelle: Joe Beck, unsplash