„Menschen lassen sich von uns nicht anfassen, aus Angst, das Virus von uns zu bekommen.“ Eine Mitarbeiterin aus der Notfallrettung berichtet anonym über Erlebnisse mit Patienten.
„Ich arbeite seit 2017 in der Notfallrettung und habe dort schon so einiges, auch das unterschiedlichste und ungewöhnlichste Verhalten der Patienten in belastenden Situationen miterlebt. Die momentane Situation übertrifft jedoch alles, was ich bisher erfahren habe“, erzählt uns eine Mitarbeiterin aus der Notfallrettung. Wir nennen sie im Artikel Nina.
Ihr Arbeitsalltag ist noch mehr als sonst von Extremen geprägt. Die Menschen, mit denen der Rettungsdienst in Kontakt kommt, reagieren sehr unterschiedlich, seit SARS-CoV-2 sich ausbreitet. „Plötzlich sagen uns sehr viele Leute, wie dankbar sie sind, dass es uns gibt. Wir bekommen kostenlos Essen in Supermärkten, Fastfood-Ketten und in Tankstellen.“ Es gibt aber auch die andere Seite. „Menschen lassen sich von uns nicht anfassen, aus Angst, das Virus von uns zu bekommen. Auch werden wir oft verärgert angeschaut oder sogar angebrüllt, wenn wir vor Ort erneut die erforderlichen Fragen zur Corona- Infektion stellen.“
Die Befragten reagierten so, weil sie meistens schon am Telefon von der Leitstelle abgefragt worden waren und sich nicht wiederholen wollen. Doch auch doppeltes Abfragen sei in vielen Fällen sinnvoll, wie Nina betont. „Jeder, der im Rettungsdienst arbeitet, weiß, dass es zwingend erforderlich ist, seine eigene Anamnese zu erheben, da einen oft Situationen erwarten, die ganz anders sind, als sie auf dem Melder stehen. Wir meinen es definitiv nicht böse, wenn wir nach den Symptomen fragen, bevor wir das Haus betreten. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, die Patienten, ihre Angehörigen und vor allem uns selbst zu schützen!“
Seit Beginn der Coronakrise sei das Personal in der Notfallrettung deutlich vorsichtiger geworden, erzählt sie. „Bei jedem Patienten tragen wir eine FFP2-Schutzmaske und eine Schutzbrille. Jeder Patient bekommt einen Mundschutz – es sei denn, er hat starke Atemnot und er braucht hochdosiert Sauerstoff oder man muss vernebeln.“ Sobald Medikamente vernebelt werden müssten, würden die Mitarbeiter auf eine FFP3-Maske wechseln, um die Gefahr der Infektion so gering wie möglich zu halten. „Ist ‚Reanimation‘ oder ‚Bewusstlosigkeit‘ gemeldet, heißt das für uns, bereits mit Schutzkittel, FFP3 Maske, Schutzbrille und Haube den Einsatzort zu betreten. Das Tragen von Handschuhen wurde schon immer bei den Patienten praktiziert“, stellt die Mitarbeiterin klar.
Nach jedem Verdachtsfall werde der Rettungswagen vollkommen desinfiziert. Dies bedeute, dass der Rettungswagen nach dem Transport zunächst in den Status 6 gehe, also für eine geraume Zeit nicht mehr eingesetzt werden könne. „Vielen Leuten ist nicht bewusst, dass die Anzahl der Rettungswagen sehr begrenzt ist. Fällt einer aus, so fehlt dieser an einem anderen Ort, wo er eventuell dringend gebraucht würde“, wie Nina erklärt.
Verunsicherung beobachtet sie nicht nur im Umgang mit Patienten, sondern auch bei den eigenen Mitarbeitern. Denn keiner wisse, wie lange man sich noch schützen könne. Anfangs mangelte es außerdem an den notwendigen Kenntnissen: „Wir im Rettungsdienst sind zu Beginn der Coronakrise nur unzureichend über die Kontaminationswege des Virus informiert worden. Viele Kollegen mussten daher in Quarantäne.“
Inzwischen hat die Politik eine Neuerung des Infektionsschutzgesetzes vorgenommen. Dazu gehört auch eine Änderung zur Ausübung heilkundlicher Maßnahmen durch Notfallsanitäter. Kurz erklärt: Die Ausbildung zum Notfallsanitäter wurde ursprünglich geschaffen, um Notärzte zu entlasten. Ein großer Teil der Ausbildung umfasst die Medikamentenlehre und die Behandlung lebensbedrohlicher Notfälle ohne den Notarzt. Bisher war Notfallsanitätern aber nur im absoluten Notstand erlaubt, bestimmte Medikamente zu verabreichen.
Ein Beispiel für die aktuelle Neuerung ist die Gabe von Adrenalin bei einer Reanimation. „Plötzlich heißt es offiziell, dass solche Maßnahmen durch den Notfallsanitäter ausgeführt werden dürfen. Dabei hatten sich vor gut einem halben Jahr viele Ärzte klar dagegen ausgesprochen, als dieses Thema bereits zur Debatte stand“, erinnert sich Nina. „Wie diese Änderung bei den verschiedenen Arbeitgebern gehandhabt wird, ist mir nicht bekannt. In unserer Notfallrettung muss die Erlaubnis hierfür, zu Recht, erst von der Leitung gegeben werden, was dem Schutz unserer Kollegen dient.“
Jede Institution des Gesundheitswesens hat auf verschiedene Weise mit dem Virus zu kämpfen. Die Krankenhäuser haben Probleme, ausreichend Intensivbetten zur Verfügung zu stellen. Hinzu kommt ein großer Mangel an Pflegepersonal.
Und im Rettungsdienst? „Auch wir haben große Probleme mit der Beschaffung von neuem Schutzmaterial“, sagt die Mitarbeiterin. „Bei jedem Patienten müssen wir davon ausgehen, dass er COVID-19-positiv ist. Das bedeutet, dass wir bei jedem Patienten dazu verpflichtet sind, uns entsprechend zu schützen. Natürlich kann man Brillen desinfizieren und Masken mehrmals benutzen. Doch irgendwann geht auch der letzte Vorrat zu Ende und wie es dann weitergeht, ist momentan ungewiss.“
Bildquelle: Aline de Nadai, unsplash