Eine Kundin steht vor mir, hat eine Maske auf. Ihr Mund guckt halb raus und sie fasst sich andauernd ins Gesicht. Ich nehme mir viel Zeit, ihr zu erklären, warum das keinen Sinn hat. Aber ich scheitere.
In dieser Woche merke man deutlich, dass #StayAtHome Wirkung zeigte und die Vernünftigen sich auch daran hielten — wenn sie nicht aus irgendeinem Grund das Haus verlassen mussten (ich beziehe mich auf den Zeitraum zwischen dem 23.03.2020 und dem 29.03.2020). Aber wo es vernünftige Menschen gibt, gibt es auch unvernünftige, und die waren selbstverständlich unterwegs.
Aber nicht nur unterwegs. Nein. Sie mussten natürlich auch in die Apotheke kommen, um ihre Fußcremes oder ihre heißgeliebten Bonbons kaufen. Dinge, auf die man in so einer Situation eigentlich auch verzichten könnte. Sollte man meinen. Die meisten der Unvernünftigen waren ältere Menschen. Menschen, die sich nichts mehr sagen lassen wollen. Menschen, deren Risiko an Covid-19 zu sterben, am größten ist. Menschen, die aber vergessen, dass es nicht nur um sie geht, sondern auch um die, die sie mit ihrem Verhalten infizieren könnten.
Dass nun plötzlich mehr dieser unvernünftigen Menschen in die Apotheke strömten, brachte die sonstige Balance gehörig durcheinander, was dazu führte, dass wir von den Leuten ziemlich genervt waren.
Man muss sich das so vorstellen: Man berät täglich einen Kunden nach dem anderen. Darunter sind komplizierte Kunden und unkomplizierte. Und plötzlich fallen die unkomplizierten so ziemlich komplett weg und man hat nur noch die komplizierten Kunden. Die Unvernünftigen. Und das in Zeiten, in denen sowieso alles etwas anstrengender ist als sonst. Dazu kommt, dass alle genervt und gestresst sind und viele deshalb ihren Aggressionen freien Lauf lassen.
Es kam in dieser Woche häufig vor, dass ein Kunde einen anderen anschnauzte, weil er nicht ausreichend Abstand hielt oder weil die Maske des anderen schöner war als die eigene. Ihr kennt das.
Ja, das ist alles wichtig, aber wir dürfen jetzt nicht anfangen uns gegenseitig an die Gurgel zu springen. Die aktuelle Situation ist für uns alle neu und schwierig. Wir müssen uns der Situation anpassen.
Vor der Tür kam es am Donnerstag dann sogar fast zu einer Schlägerei, weil ein junger Mann nicht sofort bemerkt hatte, dass zwischen jedem Kunden zwei Meter Abstand gehalten wurde und er sich in den Augen eines anderen vordrängeln wollte.
Bei den ganzen Querelen kann es dann auch mal passieren, dass ich mein Pokerface verliere, wie in der folgenden Geschichte.
„Geht’s vielleicht etwas schneller?“
Als eine Kundin mit ihrer Maske und ihren Handschuhen vor mir stand, ihr Mund halb heraus hing und sie sich mit ihren Handschuhen öfter ins Gesicht fasste, als ich es mit ansehen konnte, versuchte ich ihr zu erklären, warum sie nicht so gut geschützt ist, wie sie vielleicht denkt. Sie hatte viele Fragen und ich viele Antworten. Das passte aber einer jungen Dame, die in der Schlange stand und wartete bis sie an die Reihe kam, nicht unbedingt. Genervt rief diese mit verdrehten Augen unter ihrer Maske hervor: „Es warten auch noch andere Leute! Geht’s vielleicht etwas schneller. Määääh!“
Ich habe ja wirklich vollstes Verständnis, dass man nicht gerne wartet. Und wenn ich sehe, dass die Apotheke voll ist, versuche ich zwar, alles etwas schneller abzuwickeln, mir aber trotzdem ausreichend Zeit für wichtige Beratungen zu nehmen. Bei den Kunden, die mir ihre Lebensgeschichte erzählen wollen, versuche ich das Ganze dann aber etwas abzukürzen. Oder das Telefon klingelt.
Trotzdem braucht manches eben seine Zeit und diese Kundin war offensichtlich sehr verängstigt. In solchen Fällen berate ich ausführlich, auch wenn die Apotheke voller Menschen ist. Und ich lasse mir nur ungern sagen, wie lange mein Beratungsgespräch dauern darf. Und schon gar nicht von anderen Kunden oder wie in diesem Fall: Von einer Nichtkundin in spe. Ich setzte kurz meine Maske ab (und ich meine nicht meinen Mundschutz) und sagte etwas lauter: „Das Beratungsgespräch dauert so lange, wie es dauert. Wenn Ihnen das nicht passt, können Sie gerne in eine andere Apotheke gehen.“
Das saß. Der Mann hinter ihr schrie „Bravo“ und sie ließ sich das von dem bösen Apotheker nicht bieten und marschierte wütend aus der Apotheke. Dankeschön. Auf Wiedersehen. Ich widmete mich wieder meiner Kundin zu und versuchte ihr zu erklären, warum ihr einfacher Mundschutz nur andere schützte und nicht sie.
Ich erklärte ihr Folgendes: Wird sie von einem Infizierten angeniest, dann ist das zum einen natürlich ziemlich eklig. Zum anderen können die Viren durch einen normalen Mundschutz nicht vollständig abgehalten werden, weil die Maske zwar die Tröpfchen abhält, aber nicht die Viren. Diese können auch neben dem Mundschutz eingeatmet werden oder in größeren Mengen den Mundschutz durchwandern. Dann machen sie es sich im Rachen bequem.
Wäre hingegen sie die Infizierte und würde jemanden anniesen, würde ihr Mundschutz das ganze Virengeschwader abbremsen. Die Viren würden zwar auch durch den Mundschutz gehen, aber ihre Geschwindigkeit wäre dadurch soweit reduziert, dass sie nicht mehr auf ihren Gegenüber treffen würden. Das verstand sie nicht.
Also versuchte ich es anders: Würde sie ihr Gesicht mit einem Tuch einwickeln und ich einen Stein darauf werfen, dann täte das weh. Wenn sie einen Stein auf mich werfen würde und das Tuch direkt vor ihr wäre, würde der Stein mich nicht treffen. Also hätte ich keine Schmerzen.
Als sie auch das nicht verstand, gab ich dann schließlich auf. Dann eben nicht.
Sie war allerdings nicht die einzige, die eine Schulung im Umgang mit Masken und Handschuhen benötigt hätte. Die meisten fummelten sich im Gesicht herum, kontaminierten die Maske mit ihren Handschuhen und wogen sich durch den vermeintlichen Schutz in falscher Sicherheit.
Ich bin immer noch nicht von Latexhandschuhen überzeugt, auch wenn jetzt ziemlich viele welche tragen.
Als ich in der Pause kurz draußen war, kam mir ein Mann entgegen, der ebenfalls Latexhandschuhe trug und dabei eine Zigarette in seiner Hand hielt und diese sich genüsslich in den Mund steckte.
Wir gehen jetzt mal davon aus, dass die Handschuhe nicht frisch waren, denn sonst hätte er sie auch erst nach seiner Zigarette anziehen können. Nicht wahr?
Auffällig war auch, dass der Hype um Paracetamol etwas abflaute. Wir bekamen wieder etwas Nachschub. Da Paracetamol aber aktuell trotzdem noch Mangelware ist, sollten wir mehr dafür bezahlen als sonst, weshalb wir den Preis leider auch etwas anheben mussten, um keine Verluste zu machen.
Als ein Mann mit Bierflasche in der Hand Paracetamol kaufen wollte, wies ich ihn freundlich darauf hin, dass Alkohol und Paracetamol keine gute Kombination wäre. Er lächelte und war mir sehr dankbar über den Rat. Als ich ihm dann aber mitteilte, dass das Geld, das er mir hinlegte, nicht wie üblich reichte, wurde er ziemlich ausfällig. Wir würden die „Coronascheiße“ ausnutzen, um unsere Preise zu erhöhen. Ich bin jetzt ein „Arschloch-Apotheker“, der in einer „Arschloch-Apotheke“ arbeitet. Das war mir vorher nicht so klar.
Fieberthermometer sind immer noch extrem beliebt. Darüber gibt es überhaupt nichts neues zu schreiben, aber ich mache es dennoch. Warum? Weil ich diesen Tweet einbinden möchte:
Dann kann ich auch eine Kleinigkeit zu diesem Tweet gestehen: Als der Mann seine Frau bat, es ihm hinten reinzustecken, war mir natürlich sofort klar, dass er den Rucksack meinte. Ich kämpfte ein bisschen mit mir, ob ich diesen blöden Spruch tatsächlich bringen sollte oder nicht. Aber so eine Vorlage bekommt man nicht alle Tage. Also, lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe es gesagt. Aber wahrscheinlich auch nur deshalb, damit ich danach darüber twittern kann.
In den letzten Wochen wurde Desinfektionsmittel sehr viel häufiger nachgefragt als Masken. Doch das hat sich diese Woche wieder schlagartig geändert. Jetzt wollten alle wieder Masken kaufen. Doch wir haben wir immer noch keine bekommen und, da der Mangel in Krankenhäusern und Arztpraxen nach wie vor besteht, wird das auch noch eine Weile so bleiben. Deshalb lautet die Empfehlung jetzt bei Masken so wie beim Desinfektionsmittel: selber machen.
Im Prinzip schützt den Gegenüber alles, was man sich selbst vor den Mund bindet und somit mögliche Viren abbremsen kann. Wenn jeder das machen würde, wäre die Gefahr einer Infektion minimiert.
Durchfeuchtete Masken lassen sich übrigens auch wieder benutzen, wenn man sie bei ca. 70 °C für eine Weile in den Backofen legt. Das tötet die Viren ab. Aber seid bitte vorsichtig.
Was das Desinfektionsmittel angeht, so verkaufen wir aktuell Klosterfrau Melissengeist zum Desinfizieren der Hände. Das enthält ganze 79 % Alkohol und wirkt deshalb desinfizierend (Mindestens 62 % Ethanol sollte das Desinfektionsmittel enthalten, um eine desinfizierende Wirkung zu haben).
Da allerdings der Melissengeist nicht zum Händedesinfizieren gedacht ist, steht natürlich auch nicht explizit Desinfektionsmittel drauf. Das scheint vielen so suspekt zu sein, dass sie dann lieber durch 500 weitere Apotheken ziehen, um Desinfektionsmittel zu finden, auf dem „Desinfektionsmittel“ steht. Die Unvernünftigen. #StayAtHome
#DerApotheker
Bildquelle: Daniel Mingook Kim, unsplash