In einer neuen Studie konnte gezeigt werden, dass sich Hirntumore bei Kleinkindern biologisch von denen bei älteren Kindern unterscheiden. Diese Tatsache könnte neue Behandlungsmöglichkeiten mit gezielten Medikamenten eröffnen – und damit aggressive Chemotherapien bei Kleinkindern ersetzen.
Das hochgradige Gliom ist ein äußerst aggressiver Hirntumor. Gliome haben ihren Ursprung in den Zellen des Gliagewebes – und können daher das umgebende gesunde Hirnparenchym sehr diffus infiltrieren. Bei älteren Kindern verläuft die Erkrankung fast immer tödlich – lediglich 20 Prozent überleben länger als fünf Jahre. Bei Säuglingen und Kleinkindern im Alter von weniger als 12 Monaten ist die Prognose etwas besser – etwa zwei Drittel überleben fünf Jahre oder länger. Woher kommt dieser Unterschied?
Wissenschaftler des Institute of Cancer Research in London führten nun eine groß angelegte Studie mit 241 Kindern aus aller Welt durch, bei denen Gliome diagnostiziert wurden – in Zusammenarbeit mit Kollegen des Hopp-Kinderkrebszentrums in Heidelberg, des Great Ormond Street Institute of Child Health der UCL und des St. Jude Children's Research Hospital in den USA. Sie fanden heraus, dass 130 der 241 Tumorproben eine völlig andere genetische Ausstattung aufwiesen als andere Hirntumore im Kindesalter – obwohl sie unter dem Mikroskop sehr ähnlich aussahen. Bei etwa der Hälfte der Proben mit diesem verschiedenartigen genetischen Material lagen spezifische molekulare Schwächen vor: Hierbei handelte es sich beispielsweise um Fusionsgene der Anaplastischen Lymphomkinase (ALK) und der neurotrophen Tyrosinkinase (NTRK). Hierdurch macht sich der Tumor angreifbar, denn die von den Fusionsgenen kodierten Proteinkinasen können mit bereits vorhandenen Tyrosinkinasehemmern inhibiert werden.
Um die Wirksamkeit dieser Medikamente zu evaluieren, untersuchten die Forscher anschließend Mäuse mit durch ALK-Genfusionen verursachten Hirntumoren. Sie verglichen die Wirksamkeit des ALK-Inhibitors Lorlatinib mit einer Temozolomid-Chemotherapie – eine Substanz deren Wirkung in der Hemmung der DNA-Replikation der Tumorzellen liegt. Tatsächlich ließ Lorlatinib bei sieben von acht Mäusen die Tumore signifikant schrumpfen. Dahingegen wuchsen die Tumore bei den Mäusen, die eine Chemotherapie erhielten, weiter – wenn auch langsamer.
Zusätzlich züchteten die Wissenschaftler aus den Patientenproben im Labor dreidimensionale Mini-Tumore. Hier konnten sie zeigen, dass diejenigen, die eine Fusion von NTRK mit andern Genen aufwiesen, besonders empfindlich auf NTRK-Inhibitoren wie Entrectinib, Crizotinib und Milciclib reagierten. Tumore mit dieser Fusion waren zwei- bis neunmal empfindlicher für die zielgerichtete Behandlung als Tumore ohne die Fusion.
Bei einer kleinen Anzahl von Kindern wurden die Medikamente bereits getestet. Sie konnten erfolgreich mit ALK- oder NTRK-Inhibitoren behandelt werden – ein weiterer Hinweis, dass diese gezielte Behandlung kindlicher Hirntumore vielversprechend sein könnte.
Der nächste Schritt dürften nun größer angelegte klinische Studien zur Wirksamkeit der ALK- und NTRK-Inhibitoren sein. Darüber hinaus bedarf es auch weiterer Forschung zu Tumoren, die diese genetischen Veränderungen nicht aufweisen. Diese Ergebnisse könnten dann als Grundlage dienen, die Diagnoserichtlinien der WHO anzupassen, da bislang vieles für eine getrennte Klassifizierung von Hirntumoren bei Säuglingen spricht. Die Chemotherapie stellt zwar derzeit eine gute Behandlungsoption dar, kann aber auch sehr schädlich sein und verheerende Nebenwirkungen haben – insbesondere solange sich das Gehirn noch in der Entwicklung befindet. Diese neuen Erkenntnisse über die Unterschiede zwischen den Hirntumoren auf biologischer Ebene, könnten helfen, entsprechende Patienten gezielt zu behandeln, sodass ihnen eine Chemotherapie erspart bleiben könnte.
Textquelle: © EurekAlert!
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